Laudatio auf Małgorzata Jurgiel

Jurymitglieder Wiatr, Rucińska. Fot. Hans Scherhaufer

Die Reportage von Malgorzata Jurgiel hat meinen Glauben an Menschen gestützt. Sie bringt den Nachweis, dass es Menschen gibt, die ihren Alltag ganz bewusst gestalten. Unsere Rollen im Leben sind nur scheinbar offensichtlich. Eltern sein ist an sich schon kompliziert, aber Eltern sein im Grenzgebiet ist eine Qualität für sich. Und das trifft zu für eine immer größere Gruppe von Menschen, die sich  täglich vor das Dilemma gestellt sehen, wie die Bildung ihrer Kinder organisieren, wenn man – wie es die Protagonisten dieses Beitrags bezeichneten „rittlings auf dem Grenzzaun sitzt“.

Den von ihnen gewählten Weg wollen sie nicht uneingeschränkt als „Emigration“ bezeichnen. Tamara nimmt diese Auswanderung als Entwicklungschance wahr. Sie rennt vor nichts weg, sie rennt nichts nach. Von sich sagt sie, das sie halt „eine von Vielen ist, denen solcher Weg passierte“.

 „In Berlin sein ist keine Auswanderung”- sagt Marcin, ihr Ehemann. Man kann doch jederzeit ins Auto steigen und binnen 2 Stunden im heimatlichen Stettin ankommen. Den Raum zwischen Berlin und Stettin empfinden sie als einen zusammenhängenden Raum, für den Polen und Deutsche Verantwortung übernehmen sollen. Zu dieser Verantwortung gehört auch eine bewusste Erziehung der Kinder. Ohne Migrantenkomplexe, die manch einen sich für eigene Sprache und Kultur schämen lassen, aber mit Respekt und Interesse für die Kultur des Landes, in dem sie leben. Ihr Sohn, Frederic, wird sich darüber gar nicht den Kopf zerbrechen – ebenso wenig, wie er heute bei der Wahl seiner Schulfreunde überlegt: Deutscher, Polen, Russen…   

Es ist die Sprache, durch die  wir die Welt kennenlernen. Die Sprache und Produkte der Kultur, in der wir aufwachsen, prägen unsere Identität. Kinder in zwei Systemen zu bilden - im deutschen und im polnischen, ist eine äußerst ambitionierte Aufgabe. Und sie öffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten der jüngsten Generation von Europäern. Der Generation, die unsere Zukunft beeinflussen wird – wie es sich die Protagonisten der Reportage vorstellen – keine deutsche und keine polnische Zukunft, sondern eine gemeinsame – pommerische. Ein schönes Beispiel Verantwortung zu übernehmen für Beziehungen und Lebensqualität auf einem Territorium, das zum ersten Mal seit geraumer Zeit seine Einwohner eher zu verbinden als zu trennen beginnt.

Die Autorin schaffte es, mit dem Mikro den privaten Raum zu betreten und eine gewisse Verkrampftheit zu überwinden, die dieser Eingriff hervorruft. Es ist ein großes Talent, eine Menschenoffenheit, eine gewisse Aura, die für gegenseitiges Vertrauen sorgt. Mit redlichem Handwerk kombiniert brachte ihr das im Ergebnis - trotz der starken Konkurrenz - die Anerkennung der Jury unseres Wettbewerbs.

Sie demonstrierte deutlich, dass das Leben in einer solchen „Wanderfamilie“ kein Problem, sondern ein Vorteil, eine neue Qualität ist. Aber nur unter der Bedingung, dass Entscheidungen bewusst getroffen werden und ein immenser erzieherischer, organisatorischer, elterlicher  Aufwand stattfindet, um ein authentisch hochwertiges Familienmodell zu schaffen. Weil beide Sprachen sprechen, das ist noch nicht alles. Sich in zwei Kulturen frei bewegen zu können, instinktiv Symbole der Geschichte, Literatur und Kultur beider Völker zu lesen - erst das ist eine Leistung. 

Nachdem ich diese Reportage hörte, frage ich mich, was wird Fritzi denn, wenn er erwachsen wird? Ein Bub, der wie viele Kinder in ähnlicher Situation in einer polnischen Familie in Deutschland aufwächst. Er wird in der Wertschätzung von zwei Kulturen, Sprachen, Ländern großgezogen… Er hat Freunde aus deutschen, polnischen und gemischten Familien.

„Wir wollen ihm die Wahl geben” – sagt sein Papa, glaubt aber, das welchen Weg auch immer er nimmt, durch das bewusst in beiden Kulturen verankerte Leben er „Botschafter des Polentums in Deutschland und des Deutschtums in Polen“ bleiben wird.

Gratulationen an Malgorzata Jurgiel und große Danksagung für die Lektion des klugen Eltern und Mensch seins. Für die Reflexion zu zwischenmenschlichen Beziehungen, zu Familie und Gemeinschaft, den größten Werten in unserem Leben.

Gabriela Wiatr, Alicja Rucińska