Das Gewinnermaterial ist zugleich ein einfühlsames Porträt der Schriftstellerin Magdalena Parys und eine Unterrichtsstunde zum Thema deutsche, polnische und europäische Geschichte. Parys floh 1984 mit ihrer Familie von Gdańsk nach Berlin. Ihre Eltern wollten einen Hauch von Freiheit spüren, aber es war schwierig für die zwölfjährige Magdalena, sich in der neuen Realität zurechtzufinden. Sie hat Polen vermisst. Schließlich lernte sie, wie man sich zwischen den Kulturen bewegt. Als sie in Polen ihre Tagebücher schrieb, tat sie dies auf Deutsch, damit niemand ihre Notizen sehen konnte. In Deutschland tat sie dasselbe, nur die Sprache wechselte sie. Heute fühlt sich Magdalena Parys als Deutsche, aber die polnische Sprache ist immer stärker mit ihren Gefühlen verbunden. Die Reportage von Małgorzata Żerwe ermöglicht es den Zuhörern, die vielschichtige Identität der Schriftstellerin zu entdecken.
Ist Berlin eine polnische Stadt? Für Magdalena Parys - ja. Sie findet dort nicht nur Spuren der polnischen Geschichte, sondern auch die Figuren ihrer Bücher, die oft eine deutsch-polnische Identität haben. Wie der Berliner Polizeikommissar mit dem Namen Kowalski oder Dagmara, ein Mädchen, das sich über Deutschlehrer beschwert und ihre Heimatstadt Wrocław vermisst. Die Journalistin Małgorzata Żerwe spaziert mit der Schriftstellerin in Berlin und lernt die Hauptstadt Deutschlands durch ihre Augen kennen. Dies ist eine ungewöhnliche Perspektive, in der sich reale Erinnerungen mit literarischer Fiktion vermischen.
„Das Hörfunk-Feature „Deutschpolnischeuropäisch – Die Identitäten der Magdalena Parys“ kombiniert in herausragender und kreativer Weise die möglichen Stilmittel des Genres virtuos zu einem Gesamtkunstwerk für die Ohren“, schrieb Michael Elgaß in der Begründung der Juryentscheidung. In ihrer Reportage verflechten sich die Geschichten der Schriftstellerin mit den Stimmen der Straße und geben den Zuhörern das Gefühl, am Spaziergang teilzuhaben. Berlin scheint eine Stadt mit vielen Identitäten zu sein, die sowohl deutsch als auch polnisch sein können.
Echos der Geschichte...
Der Beitrag von Małgorzata Żerwe wurde mit fünf weiteren Radiosendungen in Konkurrenz gesetzt. Einschließlich einer weiteren Reportage über das Leben des Schriftstellers mit dem Titel "Ein Monat im Leben eines Stadtschreibers" von Alicja Kulik. Ihr Protagonist ist ein Deutscher, Marcel Krueger, der mit einem Stipendium in die Hauptstadt von Ermland und Masuren kam. Das wichtigste Thema, das der Autor aufgreift, ist die Entdeckung Ostpolens durch einen Ausländer. Olsztyn wird in seinen Texten als eine Stadt in der Mitte Europas beschrieben. Es ist ein Ort, an dem die Geschichten verschiedener Nationen miteinander verwoben sind.
Der Protagonist der Reportage behauptet, dass er ein Weltbürger ist, weil er bald zwei Nationalitäten haben wird - die deutsche und die irische. In seinem Werk befasst sich der Schriftsteller mit der Kontinuität der Geschichte und der Bedeutung einer flüssigen Identität in der heutigen Welt. Wie er selbst sagt: „Was in der Vergangenheit geschah, ist äußerst wichtig und betrifft uns heute“. Krueger unterstreicht den bedeutenden Einfluss seiner Familiengeschichte auf sein heutiges Leben. Er sieht auch die Verbindungen zwischen Architektur und Ereignissen von vor Jahrhunderten, die in der Altstadt von Olsztyn sichtbar sind.
Holger Lühmann betrachtet die Geschichte der Großstadt auf eine komplett andere Weise: In seiner nominierten Reportage über Warschau konzentriert er sich auf die Ereignisse vor mehr als achtzig Jahren. In der Sendung „Die Kinder des Warschauer Aufstands“ spricht der Journalist über das Schicksal der jüngsten Bewohner Warschaus im Jahr 1944. In seiner Reportage beginnt Lühmann mit einer Stellungnahme: „Es wird geschätzt, dass jeder zehnte der 40.000 Teilnehmer am Aufstand unter 18 Jahre alt war“. Das Programm zeigt drei Aufständische, die als Kinder an Untergrundaktivitäten teilgenommen haben. Einer der Teilnehmer an diesen Ereignissen, Herr Jerzy, schaffte es, eine Treibjagd und dann eine Hinrichtung zu vermeiden, weil seine Tante ihn in Frauenkleider kleidete. Frauen und kleine Kinder sind von den Besatzern verschont geblieben.
Der Reporter provoziert das Publikum, über das Schicksal der jüngsten Teilnehmer des Aufstands nachzudenken. Den Kindern wurde mit einem Bronzedenkmal in der Warschauer Altstadt gedacht, was unter den Bewohnern viel Kontroverse hervorruft. Im Gespräch über die Skulptur erörtert der Autor, wie die Erinnerung an diese Ereignisse gepflegt werden kann. Nach Lühmann sollte Geschichtspädagogik Fakten verantwortungsvoll und verständlich vermitteln.
Eine weitere Nominierte, Joanna Skonieczna, beleuchtet die deutsch-polnische Geschichte aus einer anderen Perspektive. In ihrer Reportage „Benici“ schildert sie das Schicksal der berühmten Vorkriegsschauspielerin Ina Benita. Die Künstlerin hinterließ immer den Duft von Luxus, wenn sie den Raum verließ. Die Journalisten waren in sie verliebt. Während des Krieges arbeitete sie mit dem Untergrundstaat zusammen und ermittelte die Schauspieler, die zusammenarbeiteten. Schließlich hatte sie eine verbotene Affäre mit einem Wehrmachtsoffizier. Ihr Leben ähnelte Filmen, in denen sie oft als dämonische Femme fatale besetzt war. Nach dem Ausbruch des Warschauer Aufstands hat man jedoch nie wieder von ihr gehört. Der Legende nach starb sie bei dem Versuch, durch die Kanäle aus der belagerten Altstadt herauszukommen.
In ihrer Reportage „Benici“ gibt die Journalistin sowohl Menschen eine Stimme, die sich an Benita erinnern, als auch jenen, die jahrelang nach dem Ende der Geschichte der Schauspielerin gesucht haben. Ihr Leben war immer von Geheimnissen umhüllt, die wir erst jetzt entdecken.
…und die Gesichter der Gegenwart
Unter den für den Wettbewerb nominierten Beiträgen waren auch solche, die das zeitgenössische Gesicht Polens und Deutschlands beschrieben. Wie Margarete Wohlans Reportage „Polen vor der Wahl – die scheinheilige Rolle der Kirche“. Die Autorin reflektiert über die Rolle des Glaubens in der Gesellschaft. Sie geht von der Beobachtung aus, dass das Vertrauen der Polen in die Kirche abnimmt. In ihrer Reportage äußern sich Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Einstellungen zu Religion und Kirche. Unter anderem die siebzigjährige Elżbieta, die sagt, dass sie Apostatin ist, weil Priester ihrer Meinung nach Strafen für Kindesmissbrauch vermeiden. Die Protagonistin ist überzeugt: „Da gebildete Priester keine Angst vor den Folgen für den sexuellen Missbrauch von Kindern haben - Gott kann es nicht geben!“ Elżbieta spricht auch über die Macht und Autorität, die die Kirche in den Zeiten der Solidarität hatte. Damals war es für die Gläubigen wichtig, dass die Priester gegen das Regime waren.
Ein anderes Problem unserer Zeit wird von der Journalistin Dorota Jaśkiewicz-Łebek aufgeworfen. In der Sendung „Frau Maria erfüllt Träume“ stellt sie eine Ehe vor, in deren Mittelpunkt ein Leben im Einklang mit der Natur steht. Die Reportage macht das Problem der Abkehr von der Natur in den Städten bekannt. Sie - eine Lehrerin aus Ost-Berlin, er - ein Kräuterkenner aus Marburg. Sie trafen sich in Polen, verliebten sich und beschlossen, hier eine Stiftung zu gründen, um das Wissen über alternative Lehrmethoden zu verbreiten. Heute können sie sich das Leben nirgendwo anders vorstellen. Vor allem, weil die Polen einfallsreich sind und es schaffen, wo die Deutschen ratlos mit den Achseln zucken. Das ist es, was sie an Polen mögen.
Darüber hinaus fühlen sie sich hier freier, unter anderem dank der Möglichkeit des Heimunterrichts, der auf der anderen Seite der Oder nicht erlaubt ist. Dadurch können sie eine völlig einzigartige Schule mit einer Woche intensiven Lernens und dann drei Wochen Pause schaffen. Die Schülerinnen und Schüler sind begeistert und enthusiastisch über ihre Aktivitäten.
Die nominierten Sendungen greifen eine Vielzahl deutsch-polnischer Themen auf und beweisen, dass es noch viele Geschichten gibt, die es zu erzählen gilt.
Der Deutsch-Polnische Journalistenpreis wird seit 23 Jahren für die besten Beiträge vergeben, die sich mit dem Nachbarland befassen und im Jahr vor der Preisverleihung veröffentlicht wurden. Seit 2013 ist der Schirmherr des Preises Tadeusz Mazowiecki. Zur Bewertung werden Reportagen in fünf Kategorien eingereicht: Presse, Radio, TV, Multimedia und „Journalismus in der Grenzregion“.
Maria Lipińska, Tymoteusz Oglaza