An der von Olaf Bock und Arleta Bojke moderierten Diskussion nahmen folgende Personen teil: Dr. Justyna Schulz, Direktorin des Instytut Zachodni Posen, Alicja Rucińska, Journalistin des Fernsehsenders TVN24, sowie die Journalisten: Dr. Gerhard Gnauck und Friedrich-Wilhelm Kramer.

„Der Vertrag wurde zu einer ganz anderen Zeit unterzeichnet. Es war eine Zeit der großen Hoffnungen, und die wichtigsten davon gingen in Erfüllung”, sagte Gerhard Gnauck. „Polen ist jetzt Partner im Rahmen vieler supranationaler Institutionen, es ist ein Land, das politisch, militärisch und wirtschaftlich zählt”, fügte er hinzu.

Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass, wie schon vor 30 Jahren, für ein effizientes Funktionieren beider Länder Zusammenarbeit und Verständigung notwendig sind. Sie überlegten auch, in welchen Bereichen es gelungen ist, eine solche Zusammenarbeit zu erarbeiten, und in welchen noch viel zu tun bleibt.

„Gute Beziehungen sind vor allem an der Grenze zu beobachten, wo viele Menschen mit dem einen Fuß in Polen und dem anderen in Deutschland leben und wo sich diese Gemeinschaften ständig vermischen”, bemerkte Alicja Rucińska.

Die Experten waren sich einig, dass die deutsch-polnische wirtschaftliche Zusammenarbeit Anerkennung verdient und dass die Pandemie es nicht geschafft hat, sie zu schwächen. Jedoch hat sie andere Mängel der bilateralen Zusammenarbeit ans Tageslicht gebracht: die Inkohärenz und die Unterschiede in den Entscheidungssystemen beider Länder, die Alicja Rucińska aufzählte:

„Deutschland hat vor kurzem den sogenannten Kleinen Grenzverkehr eingeführt. 24 Stunden lang kann man die Grenze ohne Corona-Test oder Impfbescheinigung überschreiten. Aber das geht nur in eine Richtung, denn Polen fordert weiterhin Tests oder Impfungen. Der Grenzverkehr sollte nicht einseitig funktionieren”, konstatierte sie.

Eine Chance, die Situation zu verbessern, bietet eine stärkere Integration der Nachbarschaft auf kommunaler Ebene. Diesen Weg empfahl Friedrich-Wilhelm Kramer. Er stellte fest, dass Deutschland und Polen wirtschaftlich eng verbunden bleiben, aber um diesen Zustand zu erhalten, ist ein breiter und kontinuierlicher Dialog zwischen allen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräften auf jeder Ebene erforderlich.

Die Gesprächspartner stellten fest, dass es einige strittige Fragen zwischen beiden Ländern gibt, und nannten unter anderem den Betrieb des Tagebaus Turów im Länderdreieck Deutschland-Polen-Tschechen und den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2. Sie überlegten auch, ob die Erneuerung des Vertrages ein Weg sei, einige der Streitigkeiten beizulegen. Alicja Rucińska und Dr. Gerhard Gnauck waren sich einig, dass es am wichtigsten ist, dass der Vertrag nicht ein vergessenes Dokument bleibt.

Das Thema Pandemie konnte in der Diskussion nicht außen vor gelassen werden. Laut Friedrich-Wilhelm Kramer war die Schließung der Grenze als Folge der COVID-19-Pandemie ein heilsamer Schock, da sie gezeigt hat, wie stark die deutsch-polnischen Beziehungen sind. Dr. Justyna Schulz stellte hingegen fest, dass Arbeitnehmer aus dem Osten auf deutscher Seite immer noch stigmatisiert werden. Sie argumentierte, dass die polnische Gemeinschaft in Deutschland manchmal unsichtbar ist und ihr kulturelles Kapital von den Nachbarn als unnötiger Ballast empfunden wird. Alicja Rucińska war optimistischer, denn ihrer Meinung nach hat sich die Wahrnehmung der Polen durch die Deutschen positiv verändert. Sie werden nicht mehr nur als Wirtschaftsmigranten wahrgenommen, die Tätigkeiten ausüben, für die sie keine hohen Qualifikationen benötigen, sondern als Spezialisten, die immer höhere Positionen besetzen.

Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass der internationale Studenten- und Jugendaustausch eine besondere Rolle bei der Stärkung der deutsch-polnischen Beziehungen spielt. Die Möglichkeit, in die Winkel beider Länder zu dringen, mit Vertretern zweier Nationen einen Dialog zu führen und eine andere Kultur vor Ort zu erleben, hilft, die Perspektive des Nachbarn kennenzulernen. Alicja Rucińska betonte, dass die junge Generation die Zukunft gestalten wird. Das gegenseitige Kennenlernen ist ihrer Meinung nach eine Grundlage, die sich nicht in Verträgen niederschreiben lässt. Ähnlich äußerte sich Dr. Gerhard Gnauck. Er bemerkte, dass viele Deutsche Polnisch als ebenso schwierig empfinden wie Chinesisch, zudem gilt Polen nicht als touristisch attraktives Land. Er stellte fest, dass der internationale Austausch diese Sichtweise ändern und zur Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen beitragen könnte.

Dr. Justyna Schulz fügte hinzu, dass trotz des ausgebauten Systems von Stipendien und der ständigen Weiterentwicklung des Erasmus-Programms noch viel zu tun bleibt. Ihrer Meinung stellt z.B. die im deutschen Bildungssystem sozialisierte Jugend polnischer Herkunft ungenutztes Kapital dar. Sie könnte eine sehr gute Brücke in den deutsch-polnischen Beziehungen sein, denn oft kennt sie die Perspektive beider Länder und kann anderen helfen, die Welt des Nachbarn zu verstehen.

 

Karolina Laskowska

Anna Tomaszewska