Eine Debatte über die bevorstehende Fußballeuropameisterschaft, ihre Bedeutung für die Gastgeberländer sowie über das Engagement der Medien bei der Berichterstattung über die sportlichen Wettkämpfe.
An der Diskussion zum Thema „Anstoß: Sport, Medien und Kommerz – was bringt die EM 2012 für Europa, was für die EM-Gastgeber?“ nahmen teil: Marcin Herra, Geschäftsführer der Gesellschaft PL.2012, Andrzej Godlewski, stellvertretender Direktor des Fernsehsenders TVP1, Alfred Draxler, stellvertretender Chefredakteur bei BILD Gerhard Delling, Sportjournalist der ARD und des NDR sowie Piotr Sobczyński, Sportjournalist bei TVP Sport. Die Diskussion moderierte René Kindermann von der Sportredaktion des MDR.
Präsentation 1: Die Vorbereitungen auf die EM 2012
Den Diskussionen gingen zwei Präsentationen voraus. Zuerst berichtete Marcin Herra, Geschäftsführer von PL.2012, von Polens Vorbereitungen für die EM 2012; er erinnerte unter anderem daran, wie die Stellen, an denen heute moderne Stadien stehen, noch vor wenigen Jahren aussahen. Herra zählte die wichtigsten infrastrukturellen Investitionen wie Straßen, Bahnhöfe und Flughäfen auf, die für die EM vor wenigen Jahren gebaut wurden. Er hob hervor, dass Polen bei der Planung der Meisterschaften auf die Erfahrungen Deutschlands zurückgegriffen habe. Vor allem die Weltmeisterschaft 2006 sei für Polen inspirierend gewesen. So wie die Meisterschaften von 2006 positiv auf die Wahrnehmung Deutschlands gewirkt habe, so sei nun die EM 2012 eine Chance für die Stärkung von Polens Image in Europa, sagte Herra.
Präsentation 2: TVP1 als offizieller Sender der EM 2012
Über das Engagement von TVP, dem offiziellen Sender der EM 2012, bei den Übertragungen der Fußballwettkämpfe berichtete in einer zweiten Präsentation Andrzej Godlewski. Der stellvertretende Direktor von TVP1 wies darauf hin, dass auf dem Gebiet Polens alle Begegnungen auch über das Internet übertragen werden. Godlewski geht davon aus, dass die Spiele der polnischen Nationalmannschaft eine Rekordzahl von Zuschauern vor den Fernseher holen wird. Er rechnet mit 10 Millionen.
Ein Teil der Präsentation war der finanziellen Situation des größten polnischen Senders gewidmet. Obwohl TVP 30 Prozent des Marktes innehat, bekommt der Sender nur 13 Prozent der Fernsehgebühren. Die höchsten Einnahmen kämen weiterhin aus der Werbung, sagte Godlewski und drückte die Hoffnung aus, dass die EM eine Bewusstseinsänderung hervorrufen wird, die die Zuschauer dazu bringt, regelmäßig ihre Fernsehgebühren zu bezahlen.
Der Moderator René Kindermann griff zu Beginn der Diskussion den Gedanken auf, den ukrainischen Teil der EM zu boykottieren. Dieser Gedanke wurde zuvor besonders in den deutschen Medien breit kommentiert. Alle Teilnehmer waren einvernehmlich der Meinung, dies sei die denkbar schlechteste Lösung. „Ein Boykott wäre sinnlos und übertrieben“, so Alfred Draxler, stellvertretender Chefredakteur der BILD-Zeitung über die Situation. Der deutsche Journalist warnte davor, die Ukraine als Gastgeber zweiter Klasse zu behandeln, und missbilligte die Tatsache, dass die deutsche Mannschaft, die in der Ukraine spielt, in Polen untergebracht sein wird. Herra betonte, dass die UEFA keinerlei Zweifel daran lassen wird, dass es zwei Gastgeber für die Meisterschaften gibt, deren Zusammenarbeit auf Partnerschaftlichkeit beruht. Anknüpfend an die Situation in der Ukraine unterstrich Gerhard Delling, dass es gerade in der aktuellen Situation darauf ankomme, mehr Einfühlungsvermögen zu zeigen und auch in den sportlichen Begegnungen auf die vorhandenen Probleme hinzuweisen. Die kritische Herangehensweise an die politische Situation dürfe jedoch nicht die Freude an dem sportlichen Ereignis mindern, so der deutsche Kommentator. Mit dem Boykott könne man nach den Meisterschaften beginnen; man dürfe Sport und Politik nicht vermischen, fasste Piotr Sobczyński von TVP zusammen.
René Kindermann fragte die Journalisten danach, welche Pläne ihre Redaktionen für die Berichterstattung von den Fußballwettkämpfen haben. Andrzej Godlewski sagte, dass besonders die polnischen Spiele eine starke Einbindung finden werden. Der 90minütigen Begegnung auf dem Spielfeld werde von den Fernsehsendern doppelt so viel Zeit gewidmet. Das Polnische Fernsehen (Telewizja Polska) werde sich darüber hinaus bemühen, die in den Fanmeilen herrschende Atmosphäre der Großstädte und kleinerer Zentren abzubilden, so Piotr Sobczyński. „Indem wir den Fans andere Fans zeigen, wollen wir erreichen, dass alle Fußballfans diese Meisterschaften so erfüllt wie möglich erleben können“, fügte der polnische Sportjournalist hinzu. Gerhard Delling wies darauf hin, dass das deutsche öffentliche Fernsehen nicht nur die Fußballspiele senden werde, sondern auch zahlreiche Berichte über die Gastgeberländer, die seit vielen Monaten von deutschen Korrespondenten in Polen vorbereitet werden. „Weil eine Zeitung dem Fernsehen in Hinblick auf das Übertragungstempo nicht das Wasser reichen kann, hat BILD die Absicht, sich auf die Geschichten um die Spiele und über die Fußballer zu konzentrieren“, sagte Alfred Draxler. Wie es sich für einen Redakteur der größten deutschen Boulevardzeitung gehört, hofft Draxler auf zahlreiche Skandale, die in Polen und in der Ukraine von 20 Journalisten verfolgt werden.
Als Marcin Herra nach den letzten Vorbereitungen gefragt wurde, versicherte er, die Meisterschaften seien bereits zum jetzigen Zeitpunkt durchorganisiert. Jeder der 23 Tage sei logistisch bis in die kleinste Einzelheit und mit allen Varianten, die eintreten können, durchgeplant. Die Veranstalter bemühen sich derzeit vor allem, die Polen dazu zu ermuntern, sich als Gastgeber zu fühlen. Herra betonte gleichzeitig, dass die Stimmung in Hinblick auf die EM an der Weichsel immer besser werde. Von Alfred Draxler nach der Sicherheit und den polnischen Hooligans gefragt, denen ein schlechter Ruf vorauseilt, sprach Herra davon, dass sowohl die Stadien als auch die Fanmeilen genauso kontrolliert werden wie bei vorangegangenen Meisterschaften. „Die entsprechenden Sicherheitsdienste sind bestens vorbereitet und werden reagieren, wenn das notwendig wird“, so der Geschäftsführer von PL.2012.
Marcin Herra wies darauf hin, welche Bedeutung die Meisterschaften für Polen auch nach dem letzten Spiel haben werden. „Einerseits bleiben die Infrastruktur und die Objekte erhalten, die man klug wird verwalten müssen, aber es bleibt auch der Glaube an die eigenen Möglichkeiten, mit dem man sich das nächste Ziel setzen sollte“, unterstrich der Geschäftsführer von PL.2012. Ähnlich äußerte sich Andrzej Godlewski, der überzeugt ist, dass die EM den Polen bewusst machen werde, dass sie in der Lage sind, eine so große Herausforderung zu bewältigen. „Zufriedene Gäste stecken die Polen mit ihrer Zufriedenheit an und das steigert das Selbstwertgefühl der Polen“, so der Chef von TVP1.
Während des Gesprächs versuchten die Podiumsteilnehmer, mögliche Ergebnisse der Spiele und des Finales vorherzusagen. Dabei stellte sich heraus, dass deutsche Journalisten mehr an die sportlichen Möglichkeiten Polens glauben als die polnische Seite, die die Chancen der Nationalelf skeptisch betrachtet. Alle jedoch waren sich darin einig, dass ein eventuelles Finale zwischen Polen und Deutschland von Polen gewonnen wird, in der einen oder anderen Mannschaft.
Zum Ende der Debatte sagte Kindermann, dass die Teilnahme von Marcin Herra, sprich der Person, die für die EM 2012 zuständig ist, an dieser Diskussion 25 Tage vor der Eröffnung der Meisterschaften, ihn sehr positiv stimme, da sie bedeutete, die Veranstaltung ist organisatorisch unter Kontrolle.