An der Debatte zum Thema ,,Wie gehen wir mit dem Krieg in Europa um?“ nahmen folgende Gäste teil: Daria Lukianova, stellvertretende Leiterin der Stiftung Integration und Entwicklung von AusländerInnen in Gorzów Wielkopolski (Polen), Claus-Christian Malzahn, Journalist der WELT-Gruppe, Nora Ratzmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung und Olena Shelest-Szumilas, Bevollmächtigte des Rektors für Gleichbehandlung an der Wirtschaftsuniversität Poznań. Das Gespräch moderierte Adam Górczewski, Journalist, der für den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis nominiert wurde.
Westliche Gastfreundschaft erleben
Das Leitthema der Podiumsdiskussion war die Situation von Geflüchteten in Polen und Deutschland. Gezogen wurde ein Vergleich zwischen den getroffenen Maßnahmen und den sozialen Situationen in den beiden Ländern. Man versuchte auch herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten die beiden Länder bei der Gestaltung von Medienberichten aufweisen. Eine der Herausforderungen, mit denen Polen und Deutschland konfrontiert sind, ist es, ukrainischen Männern und Frauen zu helfen, sich in einem neuen Land zurechtzufinden. Die Geflüchteten müssen lernen, in einer ihnen unbekannten Gesellschaft zu leben. Gesellschaft, die sie vor einem Jahr vielleicht noch mit offenen Armen empfing, nun ändert sich die Situation. In Deutschland herrscht die Überzeugung, dass die ukrainischen Bürger und Bürgerinnen, die nach Deutschland kommen, den Sozialtourismus betreiben und die westliche Gastfreundschaft missbrauchen, indem sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen, die ihnen ermöglichen, ein würdiges Leben zu führen.
Nora Ratzman appelliert jedoch, dieses Klischee zu widerlegen. Sie argumentiert, dass Menschen, die vor dem Krieg fliehen, für jede erhaltene Hilfe zutiefst dankbar seien, doch dass auch Schuldgefühle sie begleiten würden. Sie möchten möglichst schnell finanziell unabhängig werden. Laut dem Migrantenzentrum in Gorzów Wielkopolski werden sie immer häufiger und immer schneller selbständig. Motivationsgründe dafür gibt es viele, doch sie möchten vor allem für ihre Familien und Kinder sorgen können. Wegen der Sprachbarriere ist es leider schwierig für sie, einen Job zu bekommen, der ihren Qualifikationen entspricht und dies auf beiden Seiten der Oder. Aus der Ukraine kommen hauptsächlich Mütter mit Kindern. Und für die Mütter ist es nicht einfach, eine Kinderbetreuung für die Dauer des Sprachkurses zu organisieren.
„Die Medien kreieren ein Bild armer Ukrainer, die auf polnische Steuergelder hoffen. So entsteht ein Stereotyp von Migranten, die eine Last für die polnische Gesellschaft sind. Sie sind jedoch das Humankapital. Wir müssen immer wieder beweisen, dass wir nicht von den Steuern der polnischen Bevölkerung leben“, betont Daria Lukianova.
Verschiedene Perspektiven
Während des Gesprächs kamen verschiedene Perspektiven, eine wissenschaftliche, eine journalistische und eine lokale, zum Ausdruck. Wichtig ist, dass die Stimme der Vertreter der Flüchtlingsgemeinschaft in Polen nicht ausgelassen wurde. Zur Diskussion wurde eine Ukrainerin eingeladen, die ihre fliehenden Landsleute unterstützt. „Der Krieg hat uns überrascht. Wir haben schon immer Migranten geholfen, doch keinem ist in den Sinn gekommen, dass wir mal Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine helfen werden“ so Daria Lukianova. Sie betont, dass es unter den Ankommenden solche gegeben hätte, die nicht glaubten, so schnell in ihr Land zurückkehren zu können, aber auch solche, die dachten, in einigen Monaten wieder zu Hause sein zu können. Es kam aber anders. Nun stehen sie vor der Herausforderung, ihre Koffer auszupacken und ein neues Leben aufzubauen.
Denken Deutsche an den Krieg?
Wie sieht das Narrativ in den deutschen Medien aus? Claus-Christian Malzahn unterstreicht, dass der Ausbruch des Krieges in der Ukraine ein Wendepunkt gewesen sei und eine wichtige Zäsur in der Denkweise über die Kriegsgefahr in Europa für deutsche Behörden und die deutsche Öffentlichkeit markiert hätte. Er betonte, dass die deutschen Medien vor dem 24. Februar nicht viel Aufmerksamkeit diesem Thema gewidmet hätten. Seitdem hat sich aber viel geändert. Geführt werden Debatten über die Abkehr vom russischen Gas oder über Militärausgaben. In den Medien hört man nunmehr Stimmen, die bisher außer Acht gelassen wurden, nämlich von Kriegshistorikern und Rüstungsexperten.
Es wurden auch Unterschiede zwischen den Medienberichten aus den beiden Ländern beschrieben. „In Deutschland dreht sich die Diskussion um die Frage, wie viel wir mit der Ukraine gemeinsam haben wollen. In Polen wiederum herrscht die Überzeugung, trotz der politischen Polarisierung, dass wir eine solche Wahl überhaupt nicht treffen können, da wir sonst die nächsten sein werden, die angegriffen werden“, so Malzahn.
Mit Empathie werden wir den Krieg nicht beenden
Zum Abschluss der Diskussion waren sich die Referenten darüber einig, dass das Wohlergehen und die Würde eines Menschen im Mittelpunkt der Überlegungen zu weiteren humanitären Maßnahmen stehen sollten. Es sei notwendig, eine verantwortungsvolle Integrationspolitik zu entwickeln, doch auch die Denkweise über die Ukraine und die ukrainischen Flüchtlinge zu ändern. „Wir sollten sie nicht als eine Last für Polen betrachten“, fordert Lukianova. Menschen sollten sich in erster Linie von Empathie und Sensibilität gegenüber anderen leiten lassen.
Zum Schluss der Diskussion forderte Adam Górczewski polnische und deutsche Journalisten noch auf, sich nicht zu scheuen, über gewalttätige Ereignisse in der Ukraine und die Schwierigkeiten im Alltag der Geflüchteten zu berichten. „Man darf dieses Themas nicht müde werden, denn der Krieg geht weiter, und mit ihm die Tragödie der einfachen Menschen“, appellierte der Journalist.
Iwona Oskiera und Eliza Kunath