Professor Leszek Balcerowicz zur Debatte: Weltklasse oder 2. Liga: Staatsverschuldung und Eurokrise – wie kommt Europa wieder in die Offensive? Schlussfolgerungen aus deutscher und polnischer Sicht.
(Bearbeitet auf Basis des Statements am 15. Mai 2012 auf den 5. Deutsch-Polnischen Medientagen in Schwerin)
Guten Tag, meine Damen und Herren. Vielen Dank für die Einladung. Ich wurde gebeten, 10 Minuten lang etwas über die ökonomischen Leistungen in Polen zu erzählen.
Ich möchte daran erinnern, dass 1989 die wirtschaftliche Situation in Polen schlechter war als derzeit in Griechenland. Das zeigt, dass es ökonomische Lösungen gibt, es muss nur der politische Wille da sein, diese Lösungen umzusetzen. Schon im Jahr 1990 war die polnische Wirtschaft fast um das Doppelte gewachsen. Wie war das möglich? Erstens wegen der Reformen, dank derer sich die Bedingungen für ordentliche Arbeitsplätze und den Unternehmergeist – der war im Sozialismus nämlich sehr schlecht – radikal verbessert hatten. Dank der Reformen lohnte es sich, bessere Arbeit zu leisten, man konnte Unternehmer werden und eine eigene Firma aufbauen – das können wir soziale Marktwirtschaft nennen (obwohl ich das nicht empfehle), wir können das auch anders nennen, aber der Kern bleibt der gleiche. Zweitens – und das hebt Polen von anderen postsozialistischen Ländern ab – haben wir in Polen einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, sprich eine Rezession vermieden.
An dieser Stelle möchte ich die nächste Analogie anführen. Das wirtschaftliche Wachstum ist auf längere Sicht eine Art Langstreckenautorennen, für das man ein gutes Auto haben muss. Die Reformen sind wie der Umstieg von einem Trabant auf einen – sagen wir mal – VW. Aber darüber hinaus muss man noch einen guten Fahrer haben, um Unfälle zu vermeiden. Denn Unfälle kommen fast immer daher, dass man zu viel ausgibt und dadurch seine Schulden vergrößert. Ein Kredit ist etwas Gutes und wie alles, was gut ist, sollte er in optimalen Dosen auftreten. Er darf nicht zu schnell wachsen. Und das bringt uns auf eine weitere Periode in Polen: ab 2009. Im Jahr 2009 war Polen tatsächlich das einzige Land in Europa, das Wachstum zu verzeichnen hatte, sprich die Rezession vermieden hat. Die Frage ist, warum.
Es gibt mehrere Gründe, die zusammen kamen – in jedem Falle handelte es sich nicht um ein Wunder. Bei Wirtschaftswundern sind nie Wunder am Werk. Erstens haben wir ähnlich wie Deutschland einen Kreditboom verhindert. Ich möchte darauf hinweisen, dass dort, wo es zu Kreditbooms gekommen ist, besonders auf dem Immobilienmarkt, schwere Zusammenbrüche eingetreten sind: in Spanien, Irland, aber auch in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien. Wie haben wir den Kreditboom vermieden? Zum Teil dadurch, dass wir eine gewissermaßen konservative Finanzpolitik hatten. Ich erinnere mich gut daran, weil ich in den Jahren 2001-2007 Präsident der Polnischen Nationalbank war. Wir haben versucht, die Inflation niedrig zu halten, und haben bei der Gelegenheit dem Kreditboom entgegengearbeitet. Zweitens war die Haushaltspolitik zwar nicht ideal, aber sie war nicht so schlecht wie in Ungarn oder der Ukraine. Tatsächlich hat die Schuldenbremse, von der Johannes von Thadden bereits gesprochen hat, eine wichtige Rolle gespielt. Ich bin der Meinung, dass das der beste Teil der polnischen Verfassung ist. Denn, meine Damen und Herren, in der modernen Politik gibt es in fast allen Ländern die Tendenz zur destructive competition, einer zerstörerischen Konkurrenz. Viele Politiker rivalisieren mit verantwortungslosen Versprechen um Wählerstimmen. Hinzu kommt, dass in manchen Ländern diese Versprechen nach den Wahlen auch noch eingelöst werden. Die Staaten brauchen Beschränkungen, das ist die wichtigste Lektion des klassischen Liberalismus. Wenn wir die Freiheit des Individuums schützen wollen, müssen wir den Staat beschränken. Unter anderem vor der expansiven Geldpolitik. Das war der Hintergedanke, als 1997 die Schuldenbremse in die polnische Verfassung aufgenommen wurde.
Drittens haben wir die Gehaltssteigerung begrenzt. Die Gehälter stiegen nicht zu schnell, wie das zum Beispiel in Griechenland, in Spanien und in Portugal der Fall war. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass unser Arbeitsmarkt relativ flexibel ist (obwohl er noch viel flexibler sein müsste), und dass die Gewerkschaften bisher Verantwortung zeigen. Große wirtschaftliche Unglücke treten ein, wenn aggressive Gewerkschaften agieren, die im Grunde im Staat regieren, weil sie mit politischen Parteien verbunden sind – wir brauchen uns nur Griechenland anzusehen. Die Vermeidung solcher Situationen und die Mäßigung der Gewerkschaften sind äußerst wichtig für die Vermeidung von ökonomischen Katastrophen. Viertens: Polen ist ein verhältnismäßig großes Land, es ist riesig im Vergleich zu den baltischen Staaten und zu Tschechien. Deshalb war eine Handelserschütterung verbunden mit einer Rezession in den G-15 für uns weniger schmerzlich. Das ist nicht unser Verdienst, das ist eine objektive Tatsache.
Fünftens: Unsere Wirtschaftsstruktur ist wesentlich diversifizierter als zum Beispiel die russische, die auf dem Export von Rohstoffen basiert, oder die ukrainische, die auf dem Export von metallurgischen Erzeugnissen fußt. Dadurch sind die Schwankungen in der Wirtschaft Polens geringer. Die Liste der Gründe, dank derer Polen 2009 der Rezession entgangen ist und dann die gute Wachstumsrate aufrechterhalten konnte, ist sicherlich länger. Ich möchte hier nur soviel sagen, dass die Kombination aus verschiedensten Faktoren es Polen möglich gemacht hat, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in der Zeit der Krise auf der Welt zu entgehen.
Ich stimme meinen Vorrednern zu, dass man immer nach vorn schauen muss, denn wenn man möchte, dass ein Land Probleme umgeht, muss man diese Probleme schon wahrnehmen, wenn sie noch am Horizont sind. Wir haben auch Probleme zu lösen, zum Beispiel die geringe Beschäftigungsquote. Auch Deutschland hat Probleme zu lösen, zum Beispiel im Dienstleistungssektor, wo es zu viele Regelungen gibt. In einer Demokratie ist die Gewichtung der öffentlichen Meinung entscheidend: wie viele Menschen sich steuerlich verantwortlich fühlen, wie viele Menschen sich dem Populismus entgegen stellen wollen. Deshalb muss man daran arbeiten, dass die öffentliche Meinung so gestaltet ist, dass sie schlechten Lösungen, die vielleicht attraktiv klingen, entgegenwirkt, und die besseren Lösungen unterstützt, die oft leicht zu dämonisieren sind. Das ist die endgültige Garantie für den ökonomischen Erfolg in demokratischen Ländern. Der Kampf um bessere Lösungen endet nie, weil es immer Populisten geben wird. Das heißt es wird für die Anhänger der individuellen Freiheit und Verantwortung immer viel zu tun geben. Das ist eine tröstende abschließende Schlussfolgerung.
Vielen Dank.