Die Polen in Brandenburg sind die zahlreichste Einwanderergruppe in der Region und die zweite (nach der türkischen) in Berlin. Würde die deutsche Wirtschaft ohne sie aufhören zu existieren? Zweifelshaft. Aber ein Abzug der polnischen Arbeitskräfte aus Deutschland würde die Situation unserer westlichen Nachbarn sicherlich erschüttern. Vor allem wäre die deutsche Gesellschaft nicht in der Lage, so viele mit Ausländern besetzte Stellen selbst zu besetzen. Dabei geht es nicht nur um Arbeiter. In der preisgekrönten Reportage „Ohne Polen läuft hier nix“ lernen wir einen breiten Querschnitt von Polen aus verschiedenen Berufsgruppen kennen. Unter ihnen: ein Mechaniker, ein Hausmädchen, ein Chorleiter an der Deutschen Oper Berlin und sogar eine Polin, die deutschen Kindern ihre Muttersprache beibringt. Die Autorinnen zeigen die deutsch-polnische Symbiose auf und betonen, dass es sich dabei nicht um eine einseitige Abhängigkeit handelt.

„Es ist nicht nur ein richtig gut gemachter und eindrucksvoller Film“ - sagte Tobias Dürr in der Laudatio über die Reportage – „sondern auch, weil die beiden Autorinnen mit ihrem Film gerade jetzt in diesen schwierigen Zeiten all den vielen Menschen aus Polen ein würdiges Denkmal setzen, die hier bei uns in Deutschland den Laden mit am Laufen halten”.

Die Entscheidung der Jury war nicht leicht. Alle in diesem Jahr für den Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis in der Kategorie „Journalismus in der Grenzregion" nominierten Arbeiten berühren wichtige Aspekte des Lebens der Bewohner der Grenzregion, nicht nur Polen und Deutschlands.

Dort, wo der Ullersbach in die Lausitzer Neiße mündet, treffen die Grenzen dreier Länder aufeinander: Polen, Deutschland und die Tschechische Republik. Dies ist ein symbolischer Punkt auf der Europakarte, von dem aus eine Sondersendung des MDR-Senders anlässlich des 15. Jahrestages der Erweiterung der Europäischen Union ausgestrahlt wird: „Auf gute Nachbarschaft: Wie weiter nach 15 Jahren EU-Osterweiterung?“

Am Schnittpunkt dieser drei Grenzen suchen Tino Böttcher und Roman Nuck, die Autoren des Programms, nach einer Antwort auf die Frage, wie die Bilanz der letzten fünfzehn Jahre der Zusammenarbeit aussieht und was sich in Polen, Tschechien und Deutschland verändert hat. Sie sprechen mit Familien und Arbeitnehmern vor Ort, um zu verstehen, wie sich die EU-Mitgliedschaft auf ihr Leben ausgewirkt hat.

Das Programm ist eine Reise durch die verschiedenen Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Union, sowohl im Bildungs- als auch im Wirtschafts- und Sozialbereich. Es ist eine Geschichte der letzten fünfzehn Jahre der Europäischen Union, erzählt aus der Perspektive der Bewohner der Grenzregion.

Die Protagonistin einer weiteren preisgekrönten Reportage mit dem Titel „Wo verbirgt sich der Ohrring von Karin Wolf” von Cezary Galek.

Durch einen unglücklichen Unfall kam sie in den Beruf der Übersetzerin. Ein langer Krankenhausaufenthalt und Langeweile verdammten Karin Wolf zu einer ausführlichen Lektüre des einzigen Buches, das sie mitnehmen konnte: ein Polnisch-Lehrbuch. Nach ihrem Krankenhausaufenthalt übersetzte Wolf den ersten Text aus dem Polnischen ins Deutsche.

Cezary Galek von Radio Zachód stellt sich der Herausforderung, eine Übersetzerin - eine Person, die im Schatten von Schriftstellern und Literaturschaffenden steht - in einer Reportage vorzustellen. Das scheinbar farblose Bild verwandelt sich in ein äußerst faszinierendes Porträt einer der interessantesten Figuren des deutsch-polnischen Grenzgebietes.

Eine andere Nominierte, Agata Grzelińska von der Gazeta Wrocławska, stellt die folgende Frage: Kann es ein Land geben, dessen Bewohner jenseits nationaler Teilungen leben? In ihrem Artikel „Es gibt einen Ort, wo Stereotypen verschwinden” nimmt sie uns mit auf eine Reise an einen Ort, an dem sich die deutsche Sprache mit der polnischen vermischt, Stereotypen ihre Gültigkeit verlieren und „ein Deutscher mit einer polnischen Flagge in der Hand den Sieg im Rennen um die polnische Unabhängigkeit genießt“, schreibt sie.

Die Protagonisten von Grzelinskas Text sind drei Polen: zwei Studenten der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und ein Professor am Collegium Polonicum in Słubice. Die Autorin spricht mit ihnen darüber, warum sie im deutsch-polnischen Grenzgebiet leben wollten, wie ihr Alltag aussieht und wie er sich vom Alltag im Land unterscheidet.

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des einzigartigen Charakters des Grenzgebiets findet die Journalistin eine einzigartige kulturelle Mischung der Region, in der sich jeder zu Hause fühlt.

Der fünfte im Wettbewerb ausgewählte Beitrag ist eine Reportage von Nancy Waldmann und Peggy Lhose „Wanda, die endlich Geld verdienen wollte“.

Die Autorinnen präsentieren einen Markt in Słubice, der am Rande der Stadt zu sein scheint. Einige sehen den Markt als einen Ort, an dem das soziale Leben blüht, andere als eine Gelegenheit, billig zu kaufen und teurer zu verkaufen. Der Marktplatz scheint ein Spiegel zu sein, der viele Phänomene widerspiegelt, die sich im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben der Bewohner beiderseits der Oder abspielen. Die Autorinnen zeichnen ein vielschichtiges Bild der Grenzregion nach der Einführung der deutschen Marke. Sie führen den Leser durch das Schicksal der Protagonistin, Frau Wanda, und zeigen die Kulissen der deutsch-polnischen Beziehungen, mit dem Kontext der türkisch-bulgarischen Einwanderer im Hintergrund.

Die letzte der Nominierungen ist ein Artikel von Aleksandra Pietruszewska unter dem Titel „Mit den Weinenden werden wir dich beweinen. Die Stiftung Judaica gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus“. In der Nähe der Philharmonie Zielona Góra befindet sich ein Stein. Es ist einzigartig. Die darin eingravierten Worte sind ein Zeugnis vergangener Ereignisse: Sie informieren uns, dass hier einst eine Synagoge stand. Es wurde während der Kristallnacht zerstört, dem Pogrom gegen die Juden, das die Nazis vom neunten bis zum zehnten November 1938 durchführten.

Aleksandra Pietruszewska berichtet über das Gedenken an diese tragischen Ereignisse am 81. Jahrestag der Kristallnacht. Die Stiftung Judaica hat eine Zeremonie unter diesem steinernen Obelisken in Zielona Góra organisiert, um der Zerstörung der Synagoge zu gedenken. „Ich fühle mich deswegen nicht schuldig, aber ich fühle mich verantwortlich“ - sagt Hannelore Stern von Radio Brandenburg. - Das Gedenken an die Opfer hat nicht nur symbolischen Charakter. Mitglieder der Stiftung Judaica, die mit der Journalistin sprechen, kümmern sich um den örtlichen jüdischen Friedhof. Einer von ihnen erzählt ihr, wie schwierig diese Aufgabe ist. Der Bericht von Aleksandra Pietraszewska ist nicht nur eine Geschichte über ein bestimmtes Ereignis, sondern vor allem ein Zeugnis der vergangenen Geschichte und der noch lebendigen Erinnerung daran.

Der Deutsch-Polnische Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis, dessen Schirmherr seit 2013 Tadeusz Mazowiecki ist, wurde in diesem Jahr zum 23. Mal verliehen. Die Kategorie „Journalismus in der Grenzregion“ ist die jüngste von allen und besteht seit 2014. Sie würdigt die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen aus sechs Grenzregionen, die sich mit Integration, sozioökonomischen Veränderungen und den Problemen des Alltagslebens im Grenzgebiet befassen. Ziel des Preises ist es, die deutsch-polnische Integration zu unterstützen und die nachbarschaftlichen Beziehungen zu pflegen.

Zofia Kajca, Ignacy Klimont