Fritz Pleitgen: Rede auf den 4. Deutsch-Polnischen Medientagen am 31. Mai in Zielona Góra (Grünberg)
Verehrte Frau Marschallin,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Nominierte,
der Woiwodschaft Lubuskie, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der Robert Bosch-Stiftung bin ich für die Einladung sehr dankbar, bei den 4. Deutsch-Polnischen Medientagen in höchst repräsentativer Weise mitzuwirken. In meiner 59-jährigen beruflichen Laufbahn habe ich schon viele Funktionen wahrnehmen dürfen, aber Ehrenbotschafter war ich noch nie. Wie man sieht, kann man auch im gesegneten Alter noch Karriere machen.
Als Journalist bin ich zur Wahrheit und Aufrichtigkeit verpflichtet. Deshalb möchte ich gleich bekennen, dass ich an meiner Eignung, als Ehrenbotschafter der Deutsch-Polnischen Medientage zu fungieren, sehr gezweifelt habe. Meine Kenntnisse der polnischen Presse sind alles andere als à jour und auch meine Beobachtung der deutschen Berichterstattung über Polen war in den letzten Jahren nicht besonders intensiv.
Mein Augenmerk war da auf eine andere Aufgabe gerichtet. Als Chef der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 sollte ich Europa und die Welt von einem Tatbestand überzeugen, der den Menschen im eigenen Land völlig unbekannt war. Ich hatte den Auftrag, das Ruhrgebiet als Kulturmetropole von internationalem Rang zu präsentieren. Auf diesem Feld hatten wir bis dahin den Ruf wie in Polen Nowa Huta. Es ist zu meiner Verwunderung gut gegangen. Deshalb habe ich die Verwegenheit besessen, auch diese repräsentative Aufgabe hier in Zielona Góra zu übernehmen.
Bei Prüfung meiner Biografie habe ich überdies festgestellt, dass es in meinem privaten und auch beruflichen Leben eine Reihe von Bezugspunkten zu Polen gibt. Das fängt schon in meiner Kindheit an. Meine Mutter und ich waren nach Parchwitz bei Liegnitz evakuiert worden, nachdem unsere Wohnung im Bombenhagel auf Essen zerstört worden war. Wir lebten in Niederschlesien zunächst im tiefsten Frieden, bis unser Aufenthalt durch den Anmarsch der Roten Armee auf dramatische Weise beendet wurde.
Was habe ich sonst noch zum Thema deutsch-polnische Beziehungen zu bieten? Nicht wenig! Zwei polnische Schwiegertöchter bereichern mit Liebreiz, Liebenswürdigkeit und Bildung unsere Familie. Und auch im Sport profitiere ich von Polen. Dass meine Lieblingsmannschaft Borussia Dortmund nach langer Durststrecke kürzlich Deutscher Meister wurde, ist nicht zuletzt drei polnischen Spitzenspielern zu verdanken.
Aber auch in meinem Beruf hat Polen eine nicht unbeachtliche Rolle gespielt. Ich war dabei, als Willy Brandt Ende 1966 gegenüber einer kleinen Journalistenrunde seine Vision von einer mutigen Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland offenbarte. „Uns muss gelingen, zu Polen ein gleich gutes Verhältnis wie zu Frankreich herzustellen“, sagte er damals. Der Schlüssel dazu liege in Moskau. Das war mitten im Kalten Krieg eine mehr als ausgefallene Idee. Ich war davon begeistert und wurde als Journalist ein entschiedener Verfechter der Ost- und Entspannungspolitik.
In meinem Berufsleben hatte ich das Privileg, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zu arbeiten. Zunächst habe ich über die Nato und die EWG, die Vorläuferin der heutigen Europäischen Union, aus Paris und Brüssel berichtet. Später war ich Korrespondent in Moskau und Ostberlin, worauf sich die Stationen Washington und New York anschlossen. Polen kam für mich 1988 ins Spiel, als sich das Land vom Sowjetimperium freikämpfte. Damals habe ich in Sondersendungen die dramatische Entwicklung geschildert, die zum Ende der deutschen und europäischen Teilung führte.
Die Rolle, die Polen bei dieser epochalen Wendung der Geschichte spielte, hat mich sehr beeindruckt. Mir war damals schon bewusst, dass das Vereinte Europa in Weiterführung der Brandtschen Ostpolitik unbedingt Polen als inspirierendes Mitglied benötigte.
Polen hat in unserem Sender immer eine herausragende Rolle gespielt. Schon seit den 50er Jahren berichtete der legendäre Ludwig Zimmerer regelmäßig aus Warschau für den Hörfunk des Westdeutschen Rundfunks. 1971 kam das Fernsehen hinzu.
Trotz der Einschränkungen, die den Journalisten damals vom kommunistischen Regime auferlegt wurden, haben unsere Korrespondenten intensiv über den Freiheitskampf der Solidarność-Bewegung berichtet. Auch heute unterhalten wir ein starkes Studio in Warschau, der geschichtlichen und künftigen Bedeutung Polens entsprechend.
Da gestern die Frage, ob ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk wünschenswert sei, negativ beschieden wurde, schicke ich heute meine Antwort nach. Ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine wichtige Einrichtung. Er muss allerdings unabhängig sein und seinen Programmauftrag erfüllen. Der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einem demokratischen, fortschrittlichen und leistungsfähigen Staat hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedenfalls sehr gut getan. Nicht zuletzt deshalb wird seine Freiheit von unserem Bundesverfassungsgericht geschützt.
Als Ehrenbotschafter der deutsch-polnischen Medientage 2011 ist mir wertvoller Erkenntnisgewinn zuteil geworden. Durch die nominierten Beiträge habe ich viel Neues über die jüngste Entwicklung Polens erfahren. Vom Wirtschaftswunder an der Weichsel, von den Erfolgen polnischer Unternehmen in Deutschland und zufriedenen deutschen Entrepreneuren in Polen. Eigentlich hätte ich davon früher wissen müssen, denn die Berichte waren ja in den deutschen Medien erschienen. Aber es gehört zu den ständig wiederkehrenden Erfahrungen, dass es gute Nachrichten über erfreuliche Ereignisse und Entwicklungen in der Flut der Informationen aus aller Welt außerordentlich schwer haben, vom Publikum wahrgenommen zu werden.
Abgesehen von der Tragödie des Flugzeugabsturzes bei Smolensk mit dem Präsidenten Lech Kaczyński und seiner hochrangigen Delegation an Bord hat Polen von der anglo-amerikanischen Zeitungsmaxime „good news are bad news“ nicht profitieren können, was zu dem Umkehrschluss führt, dass sich Polen in einem guten, aber ruhigen Fahrwasser beharrlich vorwärts bewegt.
Als langjähriger Korrespondent kann ich meinen Kolleginnen und Kollegen nachfühlen, wenn sie es bei ihrem Heimatredaktionen schwer haben, Beiträge unterzubringen, weil ihr Berichtsgebiet nicht durch dramatische Ereignisse, schwere Missstände oder Skandale generelle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Umso mehr kommt es auf journalistisches Können, nicht zuletzt auf Einfallsreichtum an, gegen das freundliche, aber entschiedene Desinteresse in den Zentralen doch noch Berichte durchzubekommen. Diese Qualität habe ich in den nominierten Beiträgen deutscher und polnischer Kolleginnen mit professionellem Genuss entdeckt.
Diejenigen unter den Nominierten, die das Rennen nicht gemacht haben, sollten sich mit dem olympischen Motto trösten, dass dabei sein das Wichtigste ist und Jury-Urteile auch nur Menschenwerk sind.
Die in die Endauswahl gekommenen Beiträge zeugen durchweg von gekonntem Journalismus auf beiden Seiten der Oder. Was ich gelesen, gehört und gesehen habe, hat mich nie gelangweilt, sondern mir interessante, gelegentlich fesselnde und auch bewegende Einblicke in polnische und deutsche Lebens-, Gedanken- und Erfahrungswelten gebracht.
Mit Erstaunen habe ich zur Kenntnis genommen, dass Politik aus der Gruft betrieben werden kann. Auch ich verehre Frédéric Chopin als großen Komponisten. Meine Begeisterung für ihn ist noch mehr gestiegen, als ich jetzt erfuhr, wie er den Nazis zugesetzt hat. Wie unterschiedlich das Schicksal von Wanderarbeitern sein kann, habe ich mit Anteilnahme gelesen. Mir imponiert, wie sich polnische Firmen auf dem deutschen Markt durchsetzen. Hätte ich vorher nicht für möglich gehalten! Wie unterschiedlich Grunwald und Tannenberg von Polen und Deutschen gesehen werden, habe ich nun auch erfahren. Dass sich die polnische Wirtschaft zutraut, in absehbarer Zeit die gleiche Leistungskraft wie die deutsche zu erreichen, hat mich verblüfft. Eine aufregende Detektivgeschichte fand ich die Suche nach dem wahren deutsch-polnischen Elternpaar eines inzwischen 63jährigen.
Keine Sorge! Ich werde jetzt nicht alle nominierten Beiträge durchgehen, obwohl sie es verdient hätten. Aber diese Würdigung wird ja gleich bei der Preisverleihung geschehen. Als ehemaliger Radiodirektor genieße ich immer wieder, wenn über den Hörfunk gekonnt Geschichten erzählt werden, wie ein persönliches Warschau-Portrait oder ein Besuch in Nowa Huta. Da entstehen gleich die passenden Bilder im Kopf. Die Reise der beiden deutschen Fernsehstars durch Polen hat wieder einmal gezeigt, dass mit amüsanter Unterhaltung viel Information zu vermitteln ist.
Kein einziger Beitrag hat mich ermüdet. Das gilt auch für die Dokumentationen, die Warschaus Weg nach Westen, das wirtschaftliche Gefälle in Polen, einen mutigen Philosophen aus Ratibor oder die von polnischen Kollegen inspizierten blühenden Landschaften in Ostdeutschland beschreiben. Besonders bewegt haben mich die Erzählungen der Mädchen von Auschwitz. Solche Beiträge gehören in den Schulunterricht.
Aufgefallen ist mir, dass alle Beiträge politisch korrekt sind. Sehr gepflegt, nie gepfeffert oder stark gesalzen. An hässlichen Verhältnissen fehlt es sicher in beiden Staaten nicht. Aber wenn Rückstände angesprochen werden, dann geschieht das in den von mir begutachteten Beiträgen in verständnisvoller, ja liebevoller Weise. Vielleicht hat die behutsame gegenseitige Behandlung mit dem besonderen Verhältnis zwischen Deutschen und Polen zu tun. Möglicherweise liegt es aber an der Auswahl der Beiträge, dass ich ein so kultiviertes Bild gewonnen habe. Verrisse dürften es wohl schwer gehabt haben, ins Finale zu kommen. Ob dieses rücksichtsvolle Verhalten allgemein für deutsche und polnische Journalisten gilt, vermag ich nicht zu sagen. Ich habe sicher die Elite der Beiträge in Augenschein genommen und die kann sich, wie ich finde, sehen, hören und lesen lassen.
Dies ist eine erfreuliche Erkenntnis. Sie geht allerdings, was die Entwicklung auf unserem Kontinent angeht, gegen den Trend. Dies bringt mich dazu, diese Medientage zu nutzen, um über eine Entwicklung zu reden, die mich als Journalisten und überzeugten Europäer sehr beunruhigen Die Bedingungen für den Journalismus haben sich in der Europäischen Union mehr und mehr verschlechtert. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zeitungen haben es seit Jahren schwer, wirtschaftlich zu arbeiten. Der Trend hat sich durch das Hinzutreten des Internets mit drastischen Einbrüchen im Verkauf und Anzeigengeschäft zunehmend verschärft, was zu fortwährenden Ausdünnungen von Redaktionen, Aufgabe von Lokalredaktionen, Zusammenfassungen unter einem Verlagsdach oder schlichtem Sterben von Zeitungen, manchmal auch von Traditionsblättern geführt hat und weiter führt.
Von der Vielfalt früherer Jahre entfernen wir uns mehr und mehr. Ausgedünnte Redaktionen können nur schwer den erforderlichen Qualitätsstandard halten, wenn Journalisten aus Zeitmangel nicht die gebotene Sorgfalt walten lassen können. Das gilt für Festangestellte wie für freie Mitarbeiter. Diese Misere setzt sich fort, wenn aus Kostengründen Ereignisse nicht mit eigenen Reportern abgedeckt werden können. Eine verlockende, aber zugleich auch fragwürdige Hilfe bietet das Netz. Statt vor Ort zu recherchieren, werden die Informationen aus dem Internet geholt und zu eigenen Beiträgen verkocht, leider ohne den warnenden Hinweis „alles ohne Gewähr“. Der PC-Journalismus gewinnt mehr und mehr an Boden.
Er bewegt sich auf einem bunten Feld voller Früchte – nahrhafter und vergifteter. Zwischen seriösen Informationen stecken jede Menge als Nachrichten getarnte Botschaften von Lobbyisten. Es sind Botschaften, die von Journalisten unter Zeitdruck oder hinreichende Erfahrung leicht als wichtige Informationen mitgenommen werden.
Die Lobbyisten stecken überall. Das Netz ist ihr Biotop. Sie agieren für Firmen, Parteien, Regierungen, Kirchen und Gewerkschaften. Nicht die Aufklärung der Bevölkerung verfolgen sie, sondern die Interessen ihrer Auftraggeber. Was sie betreiben, ist so schlimm wie Zensur. Es ist Desinformation. Ihr Geschäft blüht besonders in extremen Situationen, wie zum Beispiel in Kriegen. Gegen gutes Geld bringen sie ihre Wahrheiten unter die Journalisten. Leider nicht ohne Erfolg! Mit Billig-Journalismus ist dagegen kein Ankommen. Dagegen hilft nur eins – und das ist professioneller Journalismus und der kostet Geld.
Gefahr droht den Medien im Vereinten Europa aber nicht nur durch wirtschaftliche Zwänge, sondern auch durch politischen Druck. Nach dem Untergang des Sowjetimperiums hatte man eine solche Entwicklung in Europa eigentlich für unmöglich gehalten. Ein besonderes Beispiel liefert dafür Ungarn, gegenwärtig mit der Ratspräsidentschaft der Europäischen Union betraut. Das verantwortungsvolle Amt hat leider nicht zu verantwortungsbewusstem Verhalten geführt, was die Wahrung der Pressefreiheit angeht.
Mit scheindemokratischen Mitteln, die nicht so schnell außer Kraft gesetzt werden können, hat die ungarische Regierungspartei die Medien in den Griff genommen. Jetzt wird die Bevölkerung mit den Nachrichten versorgt, die den politisch Verantwortlichen genehm sind. Kritische Berichterstattung kann von nun an höchst unangenehme rechtliche Konsequenzen haben. Aber auch wirtschaftlich können die Daumenschrauben angesetzt werden, z. B. durch Druck auf Anzeigenkunden.
Und die Europäische Union? Erst war die Empörung groß, aber dann ließen Kommission und Parlament nach ein paar kosmetischen Retuschen den Fall durchgehen. Die christdemokratische Mehrheit wollte ihren Parteifreunden in Ungarn nicht zu nahe treten. An schlechten Vorbildern hat es schon vorher nicht gefehlt. Silvio Berlusconi und Nikolas Sarkozy betrachten die Medien als Instrumente zum Machterhalt. Der Italiener hat einen großen Teil der Medien bereits unter seine Kontrolle gebracht, der Franzose betreibt über sein einflussreiches Netzwerk ungenierte Personalpolitik – im Fernsehen, Radio und in der Presse.
Die Beispiele können schnell Schule machen, insbesondere in Ländern, die erst kürzlich Demokratie und Souveränität gewonnen haben. Die unabhängige Einrichtung „Reporter ohne Grenzen“ stellt jedenfalls bei der Presse eine deutliche Abwärtsbewegung in der Europäischen Union fest, ausgelöst durch wachsenden staatlichen Einfluss auf die Medien. Mit öffentlicher Kritik, Androhung von Klagen sowie Druck, Quellen preiszugeben und Abhörpraktiken wird in der EU zunehmend Front gegen kritische Journalisten gemacht.
Gottlob ist das nicht überall der Fall. Gelobt werden von „Reporter ohne Grenzen“ Finnland, Island, Holland, Norwegen, Schweden und die Schweiz. Sie stehen in der Weltrangliste „Pressefreiheit“ ganz vorn. Deutschland nimmt auf dem World Press Freedom Index 2010 den 17. Platz ein. Einigermaßen vertretbar! Wir hatten schließlich auch unsere Fälle von staatlicher bzw. politischer Einmischung mit dem Vorgehen gegen die Zeitschrift Cicero und der erfolgreichen Ablehnung eines ZDF-Chefredakteurs durch CDU-Gremienvertreter. Großbritannien und die USA bringen es nur auf die Plätze 19 und 20. Etwas kläglich für die Mutterländer der Pressefreiheit!
Polen ist immerhin im ersten Fünftel mit Platz 32 zu finden, mit Aussichten auf weiteren Aufstieg in der nächsten Weltrangliste. Das ist eine achtbare Position, wenn man bedenkt, dass viele renommierte EU-Staaten wie Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland deutlich dahinter liegen. Von ehemaligen Partnern im Ostblock wie der Ukraine, Weißrussland und Russland gar nicht zu reden. Sie rangieren in Sachen Pressefreiheit um hundert und mehr Plätze am untersten Ende der Skala.
Polen hat gegenüber diesen Ländern nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit auf seiner Seite. Schon die Verfassung von 1791 spricht in Kapitel V der Bürgerfreiheit das Wort. In der Märzverfassung von 1921 heißt es in Artikel 105 ziemlich eindeutig: Die Freiheit der Presse wird gewährleistet. Eine Zensur oder ein Konzessionssystem für die Herausgabe von Druckschriften darf nicht eingeführt werden. Die jetzige Verfassung verbietet vorbeugende Zensur der Medien gesellschaftlicher Kommunikation.
Auf dem Papier sieht das sehr gut aus. Ob die Praxis der Theorie entspricht, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Vor vier Jahren war ich als Präsident der Europäischen Rundfunkunion in den Sejm eingeladen worden. Ich wurde überaus höflich behandelt, gewann aber den Eindruck, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Polen der Parteipolitik ziemlich ausgeliefert war. Das hat sich hoffentlich geändert. Anderenfalls wäre das ein schlechter Dienst am Volk. Im Übrigen hoffe ich, dass Polen in seiner Ratspräsidentschaft entschieden für die Pressefreiheit in der Europäischen Union eintreten wird.
Für den ganzen EU-Raum, wenn er denn eine wirklich fortschrittliche Union sein will, muss gelten, was der französische Informationsminister Louis Terrenoire einmal gesagt hat: „Die Presse muss schreiben können, was sie will, damit gewisse Leute nicht tun können, was sie wollen.“ Leider gilt das für Ungarn, den gegenwärtigen Ratspräsidenten und andere renommierte Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht. Innerhalb der EU sollte darauf geachtet werden, dass diese Tendenz nicht weiter an Boden gewinnt.
Die Gemeinschaft befindet sich seit geraumer Zeit in einer prekären Situation. Einerseits stecken einige Mitgliedstaaten wie Irland, Griechenland und Portugal in größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten, was das ganze Unternehmen Europäische Union in eine steile Abwärtsspirale zu reißen droht, andererseits nimmt die Zustimmung der Bürger für die EU in einigen Ländern bedenklich ab. Deutschland ist davon nicht ausgenommen. Antieuropäische Gruppierungen, wie in Frankreich, Holland und Finnland, landen bei Wahlen beachtliche Erfolge.
Noch bedenklicher ist, dass innerhalb von großen Volksparteien das Vereinigte Europa stark an Zugkraft verliert. Wie will man denn diese große Idee überzeugend unter die Leute bringen, wenn nicht über eine vitale Presse, die ihre Glaubwürdigkeit nicht zuletzt aus der Fähigkeit und Bereitschaft bezieht, Fehlentwicklungen und die Rolle von führenden Persönlichkeiten kritisch zu beleuchten?
Aus dem Europäischen Parlament wie auch aus der Kommission ist immer wieder zu hören, wie wichtig die Medien sind. Aber es wird zu wenig Einfluss auf die Mitgliedstaaten genommen, die Unabhängigkeit und Wirtschaftlichkeit von Presse, Rundfunk und Fernsehen zu sichern. Das kann sich bitter rächen. Wir haben es offensichtlich noch nicht richtig wahrgenommen: so robust, dass sie jede Krise abschüttelt, ist die Europäische Union noch längst nicht. Mit Besorgnis beobachte ich, wie die Gemeinschaft durch die Finanzkrisen und durch immer mehr aufkommende nationalistische Egoismen ausgelaugt wird. In mir wächst die Ahnung, dass uns ein weiterer schwer Schlag, ein weiterer Big Bang treffen kann, wie bei der weltweiten Finanzkrise vor drei Jahren, und die Presse wieder davon überrascht wird.
Gut, es wird über die verschiedenen Rettungsaktionen berichtet, aber nicht mit der gebotenen Intensität, wie es der Ernst der Lage eigentlich gebietet. Europa ist nicht nur bei den Bürgern in vielen Ländern, sondern auch bei den Medien alles andere als richtig angekommen. Brüssel ist zwar überschwemmt von Lobbyisten, aber nicht von Journalisten. Dabei gibt es von dort viel zu berichten, was unser Leben direkt angeht, auch jede Menge Skurriles. Kein Wunder bei einer so komplexen Einrichtung wie der EU!
Sie betreibt ein schwieriges Geschäft, wie wir vorhin in der letzten Diskussionsrunde der Medientage gehört haben. Andererseits bringt das Vereinte Europa – zwar oft unter Schmerzen und in quälenden Prozessen – auch viel Positives zustande, von dem insbesondere Deutschland und auch Polen profitieren. Doch wenn Heimatredaktionen daran kein Interesse zeigen und eigene Korrespondenten nicht vor Ort sind, dann erfahren die Bürgerinnen und Bürger davon wenig. Das allein ist schon beklagenswert genug. Doch wenn sich Journalisten leichtfertig als Verstärker von Politikern hergeben, die eigenes Versagen der Europäischen Union anhängen, dann wird es auf die Dauer prekär. Europäisches Bewusstsein schafft das herzhaft betriebene Blame Game ganz gewiss nicht.
Sie merken, mich ärgert, wie mit der Europäischen Union Schlitten gefahren wird, als sei sie die Wurzel allen gegenwärtigen Übels. In dieser Hinsicht leistet die Presse zu wenig Aufklärungsarbeit. Verfolgen Sie mal die Berichte in den nationalen Medien über europäische Veranstaltungen wie Gipfeltreffen. Sie gewinnen den Eindruck, Beobachter von unterschiedlichen Beerdigungen zu sein. Wir Journalisten kriegen einfach nicht die nationale Brille vom Kopf. Immer beherrschen in unseren Medien unsere Politiker das Geschehen, immer setzen unsere Politiker unsere nationalen Standpunkte durch, während die Politiker anderer Staaten unhaltbare Positionen vertreten. Das ganze Bild kommt so bestimmt nicht zustande.
Mich bringt diese geschichtslose Einstellung deshalb in Rage, weil ich die Bilder ganz anderer Zeiten, die noch gar nicht lange zurückliegen, im Kopf habe. Wenn ich damals als Moskau-Korrespondent mit dem Auto durch das geteilte Deutschland und die Volksrepublik Polen in die Sowjetunion fuhr, erlebte ich quälende Grenzübergänge, erbärmliche Straßenverhältnisse, Tristesse auf der ganzen Strecke hinter dem Eisernen Vorhang, dafür reichlich Geheimdienst auf den Fersen. Heute sind für mich Grenzübergänge nach Polen wundersame Erlebnisse. Deshalb beunruhigen mich Ankündigungen wie von Dänemark, das Schengen-Abkommen einzuschränken.
Ich bin, wie Sie gemerkt haben, nicht auf das Thema dieser Medientage eingegangen: die nächsten 20 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaft. Ich bin kein Futurologe und noch weniger ein Hellseher. Vom Potenzial der deutsch-polnischen Nachbarschaft habe ich heute zwar eine Menge gehört, aber das befähigt mich nicht, eine Agenda für die nächsten 20 Jahre zu entwickeln. Doch ich kann mir vorstellen – um dem Thema der Medientage in Grünberg wenigstens annähernd gerecht zu werden –, was Polen und Deutschland für Europa leisten können.
Ich glaube, beiden Ländern kommt eine Schlüsselrolle zu. Polen hat mit einer ungeheuren Kraftanstrengung seines gesamten Volkes und mit Persönlichkeiten wie Wałęsa, Mazowiecki, Geremek und Michnik die Einheit Europas in Gang gesetzt. Deutschland unter Helmut Kohl hat den von Polen ausgelösten Prozess genutzt, um nach der deutschen Einheit die Einheit Europas zu forcieren. Polen mit seiner moralisch-politischen Autorität und Deutschland mit seiner politischen und wirtschaftlichen Kraft besitzen die besten Voraussetzungen, die seit geraumer Zeit unter Druck geratene europäische Einheit zu stabilisieren und weiter zu entwickeln. Mit Politik allein wird dies allerdings nicht funktionieren. Dazu gehört auch, um die Menschen mitzunehmen, eine unabhängige, kraftvolle und auch kritische Presse.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.