Sehr geehrte Damen und Herren, Organisatoren und Gäste dieser Gala,
vor allem aber sehr geehrte Laureaten, die heute mit dem Deutsch-Polnischen Journalistenpreis ausgezeichnet werden!

Es ist ein Kindheitstraum vieler jungen Leute, die Welt ihrer Eltern und Großeltern in Zukunft verändern zu wollen. Manche geben diesen Traum irgendwo beim Erwachsenwerden auf. Andere, die ihm treu bleiben, wählen unter anderem den Weg der Journalisten.

Ich - neuerdings zwar erneut ein Beamter - fühle mich aber an diesem Nachmittag als würde ich den sehr zahlreich versammelten Berufskollegen und Kolleginnen gegenüberstehen. Nicht allein deshalb, weil jahrelange aktive journalistische und publizistische Tätigkeit auch zu meiner persönlichen Biographie gehört. Vor allem verbindet mich mit Ihnen - seien Sie bitte nicht überrascht - meine gegenwärtige Funktion als Beauftragter des Premierministers Donald Tusk für internationalen Dialog. Ich sehe dies als eine Gemeinsamkeit, weil Sie alle hier anwesenden ebenfalls Träger eines durchaus ähnlichen Auftrags sind. Eines vielleicht sogar noch ehrenvolleren und wichtigeren. Und eines, der mit keiner politischen Option und keinen offiziellen Privilegien verbunden ist. Sie handeln im Auftrag der Öffentlichkeit. Und Sie sind konkret - genauso wie ich - für den Stand der Relationen zwischen unseren Ländern (Polen und Deutschland) zuständig und mitverantwortlich.

Durch das gängige Alltagsverständnis geistert zwar nach wie vor die naive Vorstellung von Journalisten als bloßen Berichterstattern, deren Rolle sich auf möglichst unvoreingenommene Darstellung der Tatsachen begrenzt. Dabei wird übersehen, dass - ähnlich wie die eigentliche Bedeutung der deutschen Bezeichnung "Tatsache" ursprünglich ein Finalprodukt der bewussten "Tat" darstellt - auch die Arbeit eines jeden Journalisten zwingend einen durchaus wirklichkeitsschöpferischen und nicht bloß abbildenden Charakter hat.

Natürlich ist Ihre, meine Damen und Herren, traditionelle Aufgabe - nämlich diese, Menschen mit Informationen zu versorgen - von primärer Bedeutung. Aber in der heutigen medialen Kommunikationsgesellschaft besitzt gerade die Information einen enormen Wert und eine nicht zu unterschätzende Kraft. Und damit haben Sie ein Instrument in der Hand, mit dem sich die Welt und die Wirklichkeit nicht lediglich widerspiegeln, sondern aktiv gestalten lassen. Es steht Ihnen eine Macht zur Verfügung, die besonders im Kontext der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern sowohl dem Brückenschlag und der Verständigung dienen kann, als auch - in falschen Händen oder unüberlegt eingesetzt - imstande ist Menschen zu entfremden, Denkmauern aufzurichten und ganz reale Konflikte auszulösen.

Zusammen mit dem erwähnten Auftrag den Sie tragen, wurde Ihnen also zugleich eine Verantwortung auferlegt. Übertragen auf die Relationen zwischen Deutschland und Polen, heißt es aus meiner Perspektive, sowohl eines Historikers als auch zugleich eines engagierten Zeitzeugen, dass sich ein großer Teil dieser Verantwortung auf einen sehr wichtigen Bereich bezieht, nämlich auf das Geschichtsbewusstsein. Ich spreche dabei nicht lediglich jene von Ihnen an, die sich tatsächlich in ihrer journalistischen Arbeit mit historischen Themen auseinandersetzen. Denn - ob bewusst oder nicht - Geschichte ist ständig in unserem gegenwärtigen Handeln präsent, genauso wie das kulturelle, sprachliche und zivilisatorische Erbe. "Wir sind das Ergebnis geschichtlicher Erfahrungen", sprach unlängst die Präsidentschaftskandidatin Prof. Gesine Schwan über die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn bei der Polen-Woche der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld.

Dass also die meisten Spannungen, die das aktuelle Verhältnis der Polen und der Deutschen belasten, mit der traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit zu tun haben, oder genauer ausgedrückt: mit Vernachlässigung und unzulänglicher Verantwortung beim Umgang mit der Geschichte, überrascht kaum. Und das gerade jetzt in unseren Ländern über die Gründung verschiedener Gedenkstätten und Museen heftig diskutiert wird, hat ebenfalls gute Gründe.

Unsere eigene Identität und unser aktuelles Handeln sind nämlich stets mit unserem geschichtlichen Bewusstsein verbunden und unser gegenwärtiges Verhältnis zueinander hängt in einem großen Maße damit zusammen, wie wir uns mit den Schattenseiten der Vergangenheit auseinandersetzen. Und auch damit, wie wir mit den Korrosionsprozessen umgehen, die - laut Meinung des Wiener Kommunikationswissenschaftlers Maximilian Gottschlich - ständig unser Geschichtsbewusstsein angreifen: mit schwerwiegenden Folgen für die Gegenwart. Zu diesen Korrosionsprozessen zählen unter anderem die Ignoranz, die Verdrängung und die schon genannte Vernachlässigung. "Wir sind große Virtuosen des Vergessens geworden", behauptete der Historiker Alfred Heuss. Und das Verhältnis zwischen Menschen leidet bekanntlich immer dort am meisten, wo unangenehme Erfahrungen unter dem sprichwörtlichen Teppich landen. Deswegen sehe ich es als Ihre Rolle, meine Damen und Herren, der Erinnerung - kolloquial ausgedrückt - auf die Sprünge zu helfen.

Die Deutsch-Polnischen Journalistenpreise werden an Vertreter der Medienbranche vergeben, die auf verschiedene Weise einen konstruktiven Beitrag zur Mitgestaltung unserer Nachbarschaft leisten. Zur Überwindung der Vorurteile und zur Annäherung. Sie tun das durch sachlichen, gut recherchierten und verantwortungsbewussten Umgang mit aktuellen Themen, die für das deutsch-polnische Verhältnis von Bedeutung sind. Durch Berücksichtigung des historischen Kontextes und durch Vermeiden der populistischen Neigung zur Hervorhebung der öffentlichkeitswirksamen Konflikte. Und schließlich auch dadurch, dass sie immer wieder versuchen, unterschiedliche europäische Geschichtsperspektiven einander näher zu bringen und damit das Wissen voneinander fördern sowie das bessere gegenseitige Kennenlernen ermöglichen.

Auf diese Weise haben Sie tatsächlich die Chance auf Erfüllung ihres bereits zu Beginn erwähnten Kindheitstraumes von Veränderung und Verbesserung der Welt der Großeltern.

Herzliche Gratulation an die Laureaten der heutigen Preisverleihung!

(19. Juni 2008)