Perspektiven 2031 für Polen und Deutschland
Vortrag auf den 4. Deutsch-Polnischen Medientagen, Zielona Góra
Von Prof. Dr. h. c. Robert Leicht

Auch politische Beziehungen fangen immer im Konkreten an. Lassen Sie mich daher auch mit konkreten Erfahrungen anfangen. Seitdem Mauer und Stacheldraht gefallen sind, haben meine Frau und ich es uns zur Gewohnheit gemacht, möglichst die Hälfte unserer Ferien in den neuen Bundesländern zu verbringen. Es waren schon mindestens sechs Sommer, die uns die Insel Usedom gesehen hat – die Ostsee ist ohnehin im Osten am schönsten. Aber auf Usedom kommt noch die Nähe zu Polen hinzu. Und damit zur deutschen Geschichte, sowohl in ihrer unheilvollsten Periode, aber nun auch mit einem Ausblick in eine hellere Zukunft.


Das erste Mal jedoch, dass die heutige deutsch-polnische Grenze einen besonderen Eindruck auf mich machte, war allerdings schon 1956 in Görlitz, wo ich als zwölfjähriger Knabe Verwandte besuchte. Die führten mich an die Neiße. Dies sei die „Friedensbrücke“ und dies nun die „Friedensgrenze“, wurde mir gesagt, mit einem dem Kinde schwer zu deutenden Unterton. Immerhin dachte ich mir angesichts dieser eher makaberen Situation in etwa so viel: Wenn so der Frieden aussieht, na, dann...

Nun aber, fast fünfzig Jahre später im Jahr 2003 ein Waldspaziergang auf der Insel Usedom. Unversehens kamen wir am Wolgast-See an die Grenzpfähle zu Polen. Und was sahen wir da: Deutsche und polnische Grenzschützer beim gemütlichen Plausch über einer Zigarette. Wer hätte sich das 15 Jahre früher, geschweige denn 50 Jahre früher vorstellen können – einmal abgesehen davon, dass wir zwei Westdeutsche damals keinesfalls an dieser Stelle spazieren gegangen wären? Ein Jahr später haben wir bei Ahlbeck die Grenze passiert, mit den Fahrrädern, denn mit Kraftfahrzeugen war dies damals dort nicht möglich gewesen. Im Jahr 2008 dachten wir schließlich: Polen ist nun Schengenland, probieren wir es doch! Und siehe da, wir konnten ohne jede Kontrolle und ohne jeden Stop einfach in das vormalige Swinemünde (und darüber hinaus) fahren. Von Madrid nach Warschau, warum denn auch nicht?

Wer, wie meine Frau und ich, die Nachkriegsgeschichte und die angstvolle Geschichte des Kalten Krieges von Jugend auf erlebt hat, kann diese Öffnung von der deutschen zur europäischen Einheit – und vor allem die Verwandlung der deutsch-polnischen Grenze zu einer wirklichen Friedensgrenze – immer wieder nur als ein großes Glück empfinden.

Und wie letztlich doch überraschend schnell diese Entwicklung vor sich gegangen ist, mag eine Episode aus dem Pückler'schen Park in Muskau illustrieren. Vor ein paar Jahren sollte auch der östliche, im heutigen Polen gelegene und rein territorial größere Teil des Parks grenzüberschreitend zugänglich gemacht werden. Dazu musste eine Brücke über die Neiße geschlagen werden, die freilich nur tagsüber offen sein sollte. Ein uns befreundeter Architekt hatte für den entsprechenden Wettbewerb einen, wie wir fanden, hinreißenden Entwurf geliefert.


Wenn Sie sich bitte einen ganz traditionellen Nähkasten vorstellen – ähnlich sollten von beiden Ufern aus die Brückenelemente des Morgens aufeinander zugeschoben – und des Abends wieder auf das jeweilige Ufer zurückgezogen werden. Doch stattdessen wurde eine ganz ordinäre Brücke gebaut, auf deren Mitte man ziemlich hässliche, aber natürlich effektive, hohe Metalltore anbrachte. Das Paradoxe ist nun, dass ausgerechnet der ästhetisch schönste Entwurf – sofern ausgeführt – inzwischen längst zum politischen Anachronismus geworden wäre, denn nun ist die Grenze dort Tag und Nacht offen. (Und natürlich haben weder der Architekt der schönen Brücke noch die kostenbewussten Ablehner dieses Entwurfes damals daran gedacht, dass es der nächtlichen Schließung und der täglichen Ausweiskontrolle bald nicht mehr bedurfte.)

Man sieht zudem ein Weiteres: Die endgültige Anerkennung bestehender Grenzen und zugleich ihre dadurch ermöglichte Lockerung, der Gewinn also an europäischer Einheit ist zugleich ein Gewinn an konkreter Freiheit. Wenn nämlich seit einiger Zeit in Vorpommern und entlang des deutschen Ufers inzwischen die Lehrlinge knapp werden, dann ist dies trotz der vorausgegangenen Wanderungsverluste, der zufolge vor allem die beweglichen, die motivierten Leute sagten: „Wenn die Arbeit nicht zu uns kommt, dann gehen wir zur Arbeit“, dann ist dies nun eine doppelt erfreuliche Meldung: Zum einen steigt sozusagen am Arbeitmarkt der Wert derer, die noch in der Region geblieben sind. Und wenn die Unternehmen außerdem Lehrlinge aus Polen anwerben, dient auch dies der Völkerfreundschaft. Denn wenn junge Leute aus Polen hier eine Ausbildung erhalten, ist dies in jedem Fall gut, ob sie nun hier das Verständnis für Polen wecken oder mit einem positiven Bild von den Deutschen in ihr Heimatland zurückkehren. Und das gleiche gilt, wenn polnische Erwachsene verlassene Häuser in der deutschen Grenzregion renovieren und beziehen.
Welche politischen Schlüsse lassen sich nun aus diesen Einzelbeobachtungen ziehen, und welche Perspektiven könnten sich daraus ergeben? Hierzu nur einige Anhaltspunkte:

Erstens: Blickt man zurück auf die Geschichte zwischen Polen und uns Deutschen bis ins späte 18. Jahrhundert, also bis zum Beginn der – wie es bei uns umgangssprachlich heißt –drei polnischen Teilungen, obwohl es doch heißen müsste: der dreistufigen Teilungen Polens und der Aufhebung des polnischen Nationalstaates, zieht man aber vor allem die fürchterliche Geschichte zwischen Polen und Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (und deren Nachwehen bis 1989) heran, dann ist die inzwischen eingetretene Verbesserung des Verhältnisses zwischen den beiden Staaten und Völkern im Grunde ein fast unvorstellbares Wunder. Dieses Wunder übertrifft im Grunde die Versöhnung der Deutschen mit ihrem vormaligen so genannten „Erbfeind“ Frankreich. Denn was immer an Kriegen zwischen den Deutschen und Franzosen gestanden haben mag, selbst im Zweiten Weltkrieg, es hatte niemals jene auf Vernichtung angelegte verbrecherische Dimension der deutschen Politik und Kriegsführung gegenüber Polen. Zudem gab es zwischen Deutschen und Franzosen keine traumatischen territorialen Probleme. und selbst Elsass Lothringen war nicht von einer deutschen Bevölkerung besiedelt gewesen, die sich nach dem Kriege auf der rechten Rheinseite wieder fand. Auch ein Gustav Stresemann, dessen Versöhnungspolitik ausschließlich an Frankreich gerichtet und mit dem Vorbehalt ostwärtiger Revisionspolitik belastet war, hätte sich die heutige Lage nicht vorstellen können: Polen und Deutsche in einer europäischen Gemeinschaft, in einem atlantischen Bündnis und jetzt schon 20 Jahre mit einem bilateralen Nachbarschaftsvertrag. Meine ältere Tochter hingegen, die damals in Potsdam studierte, wollte die Nacht des EU-Beitritts Polens zum 1. Mai 2004 unbedingt auf der Oderbrücke zwischen Frankfurt und Słubice mitfeiern.

Darf ich bitte an dieser Stelle eine ganz persönliche paradoxe Fußnote zu dem Nachbarschaftsvertrag zwischen Polen und Deutschland einfügen, dessen 20 jähriges Bestehen wir in Kürze feiern können? Ich bitte, mich dabei nicht falsch zu verstehen. Damals war auch dieser Vertrag ein kleines Wunder, zumal nach der peinlichen Vorgeschichte um den rechten Zeitpunkt der Anerkennung der polnischen Westgrenze durch die Bundesrepublik Deutschland im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Doch so notwendig und viel versprechend der Vertrag seinerzeit war und klang, heute wirkt sein Text auf mich fast schon wieder, jedenfalls in vielen Passagen, etwas anachronistisch, gerade weil die Zeit so schnell und produktiv vorangeschritten ist; beinahe hätte ich gesagt: fast so anachronistisch wie die vorhin erwähnte und niemals gebaute Ziehharmonikabrücke in Muskau. Vieles von dem, was man damals angestrengt vereinbaren musste (oder was Diplomaten aufgeschrieben haben, damit der Text eine ansehnliche Länge gewinnt), wirkt heute glücklicherweise völlig selbstverständlich.

Zweitens: Dieser im historischen Maßstab wunderbare Umschwung, ja: Umsturz der Verhältnisse ist aber trotzdem, oder gerade deshalb auf beiden Seiten der Oder (und wahrscheinlich umso weniger, je weiter die entsprechenden Milieus von der Oder entfernt wohnen) mental und psychologisch noch nicht in der ganzen Breite der Bevölkerung und ihres Bewusstseins eingeholt worden, auch nicht im gegenseitigen Informationsstand übereinander.

Drittens: Schon aus Zeitgründen will ich nicht der Frage nachgehen, in welchen der beiden Länder man noch am ehesten versuchen kann, mit polemischer Kritik an der Politik des Nachbarlandes innenpolitische Punkte zu sammeln – die gegenwärtigen Regierungen und Staatsoberhäupter sind jedenfalls keine Produkte solcher propagandistischer Feindbilder. Und wenn nun der Bundestag sich dafür ausspricht, jene deutschen Staatsbürger polnischer Herkunft, die unter den Nazis verfolgt wurden, endlich zu rehabilitieren, ist dies doch ein richtiges und wichtiges Zeichen. Und vor allem ein notwendiger Schritt, auch gerade angesichts der Tatsache, dass die Opfer sich ja als loyale deutsche Staatsbürger verstanden hatten.


Im Übrigen darf man, so denke ich, bei allem guten Willen heute ohne Arg unterscheiden zwischen dem Tatbestand einerseits, dass Angehörige einer Nation in ein anderes Land auswandern und dort sesshaft werden und auch die dortige Staatsbürgerschaft erwerben, und dem Tatbestand andererseits, dass im Zuge eines großen Bevölkerungstransfers oder einer Vertreibung kleine Gruppen der ursprünglichen Bevölkerung in ihrem bisherigen Land verbleiben und dort nun von ganz anderen Landsleuten umgeben und in einem andern Staat aufgehoben sind. Das eine ist ein aktiv gewähltes, das andere ein passiv hingenommenes Schicksal.

Im Übrigen zur Minderheitenpolitik nur so viel: Wirklich operativ im staats- und wahlpolitischen Sinne lässt sie sich nur dort machen, wo sich Menschen anderen nationalen Herkommens – obschon minderheitlich – doch überwiegend in einer bestimmten Region gruppiert aufhalten. Um einen Vergleich zu wählen: Die „deutschen Dänen“ – wir nennen sie die Südschleswiger – können zwar im Bundesland Schleswig-Holstein von der Fünf-Prozent-KIausel im Wahlrecht dispensiert werden, es ergäbe aber keinen Sinn, in der gesamten Bundesrepublik eine Wahlliste der Dänen zuzulassen, die ohne Rücksicht auf diese Klausel für den Bundestag kandidieren könnte. Ähnlich ist die Lage der Sorben und Wenden in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg. Freilich: Obschon dort die Fünf-Prozent-Klausel für Landeslisten dieser Minderheit(en) suspendiert ist, haben sich solche bisher nicht erfolgreich zur Wahl gestellt; allerdings verstehen sich einzelne Abgeordnete der „etablierten“ Fraktionen als Vertreter der Sorben oder Wenden.
Worauf es m. E. aber auf Dauer ankommt, ist dieses: Dass weder die eine noch die andere Gruppe in unseren Ländern den Status einer Minderheit attraktiver findet als die Chance, mit allen anderen Staatsbürgern zusammen zu ihrem guten Recht zu kommen – Traditions-, Kultur- und Geschichtspflege (und deren Förderung) dabei gern eingeschlossen.

Viertens: Die wundersame objektive Verbesserung der Verhältnisse und Beziehungen zwischen Polen und Deutschland muss über weite Strecken noch eingeholt werden durch ein vertieftes Verständnis der unterschiedlichen kollektiven Erfahrungen, Mentalitäten und historischen Denkmuster.

Um an die eigene deutsche Adresse nur zwei Hinweise anzubringen:

-    Angenommen, unter der polnischen Erde befände sich Erdöl und Erdgas, ich möchte wetten, ein vormaliger Bundeskanzler hätte auch die Mitglieder der polnischen Führung als Duz-Freunde empfangen. Es darf aber einfach nicht sein, dass wir bei großen politischen und strukturpolitischen Vorhaben unsere unmittelbaren Nachbarn übergehen. Es mag ja sehr gute Gründe für die Ostsee-Pipeline geben, aber je besser diese Gründe wirklich sind, desto einfacher müsste es gewesen sein, die polnische Seite einzubeziehen und zu gewinnen.

-    Zweimal, vor dem Irak-Krieg wie bei der Frage des Raketenabwehrschildes hat die deutsche Politik über die Haltung Polens zumindest die Stirn gerunzelt. Ich will diese Themen nicht als solche untersuchen , aber wir Deutschen sollten einsehen, dass die Polen in Amerika schon seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts einen wichtigen Beistand sahen. Nach dem Ersten Weltkrieg war es US-Präsident Wodrow Wilson, der sich als erster für die Wiedererrichtung eines polnischen Nationalstaates einsetzte. 1938/1939 waren weder die Franzosen noch die Briten in der Lage, ihre Beistandsversprechen gegen Hitler machtvoll zu unterlegen. Man darf sich also nicht darüber wundern, dass die Polen aus der Betrachtung in der longue duree ihr Sicherheitsgefühl nicht gestärkt sähen, wenn sie sich mit Deutschen und Franzosen zusammen von den USA distanzieren sollten. Ich halte dies übrigens für einen der Gründe, aus denen aus dem schönen Weimarer Dreieck (Polen-Deutschland-Frankreich) jedenfalls dann nichts Rechtes werden kann, wenn es mit dem Geruch sozusagen „anti-amerikanischer“ Gruppenbildung behaftet sein sollte.

Im Übrigen habe ich gerade angesichts des Besuches von Barack Obama in Warschau eine bemerkenswerte Differenz wahrgenommen: Dort wurde er offenbar von einigen dafür kritisch betrachtet, weil er das Raketenschutzschild nun nicht so recht bauen will – wir Deutschen, wenn ich das so kollektiv sagen darf, würden ihn tadeln, wenn er das Projekt energisch beschleunigen würde. Über die tieferen historischen Gründe solcher Rezeptionsunterschiede müssen wir voneinander noch viel mehr lernen.

Fünftens: Jedenfalls hat die deutsche Außenpolitik darauf zu achten, dass die Übereinstimmung (und das Interesse füreinander) zwischen Warschau und Berlin keinesfalls geringer ist als jene zwischen Berlin und Paris, wobei auch letztere Beziehung derzeit nicht gerade auf ihrem wünschenswerten Höchststand verharrt. Wir haben es uns aus der westeuropäischen Perspektive der Europäischen Union angewöhnt zu denken, Frankreich und Deutschland seien der Motor der europäischen Integration. Dies waren sie auch lange gewesen. Für Polen wie für Deutschland ist es zum einen wichtig, dass wir hinter diesen Nukleus Europas (Frankreich und Deutschland) nicht zurückfallen, dass aber zum anderen Polen in diesen produktiven Kern einbezogen und aus dem Zweiklang, wenn er dann wieder bereinigt ist, ein ebenso starker Dreiklang wird.

Sechstens: Einer solchen vertieften Neugier füreinander steht jedenfalls von deutscher Seite ein generelles merkwürdiges strukturelles Muster entgegen, mit konkreten praktischen Folgen, die sich nicht eilig überwinden lassen. Zum einen scheint es ein gesamt-europäisches Bewegungsgesetz zu sein, dass sich alle Gesellschaften jeweils überwiegend nach Westen orientieren. Diese einseitige Blickrichtung ist nun, sowohl was Polen als auch was Deutsche betrifft, durch die Jahrzehnte des Kalten Krieges noch verschärft worden. Irgendwie wissen alle Gesellschaften mehr über ihre westlichen als über ihre östlichen Nachbarn.

Ist es schon schwierig genug, an deutschen Schulen Französisch als Fremdsprache mit großem Erfolg zu pflegen (erst recht als erste Fremdsprache) – und dies sogar in Baden-Württemberg, wo es die direkte Nähe zum Nachbarn angeboten hätte und es besonders intensiv versucht wurde –, so liegt die Kenntnis der polnischen Sprache, der Literatur und Geschichte, insbesondere der Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte, in Deutschland besonders flach. Karl Dedecius, der soeben seinen 90. Geburtstag feierte, hat insofern epochale Dienste geleistet - und auf seine Weise auch der kürzlich verstorbene Ludwig Mehlhorn, dessen Wirken ich als Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin bis 2009 aus nächster Nähe beobachten konnte.

Gewiss, die wirtschaftlichen Beziehungen suchen sich selbst ihre Wege und können sich dabei mühelos der englischen Sprache bedienen. Aber politische und kulturelle Beziehungen sind auf eine geistig intimere Kenntnis voneinander angewiesen. Da wir aber mit allen Appellen an gegenseitigen Spracherwerb und Austausch nur langsam breitenwirksamen Erfolg erzielen können, liegt die Verantwortung bei den politischen und gesellschaftlichen Eliten. Ihnen obliegt es, jeweils in ihrem eigenen Land das Verständnis für die Nachbarn und die Voraussetzungen von deren Handeln zu wecken und zu stärken, und zwar selbst – und gerade dann – wenn in der Innenpolitik der Nachbarn Äußerungen fallen, die man selbst für befremdlich hält.

Zu diesen Eliten und Trägern der gegenseitigen Verständigung zählen natürlich in erster Linie die Medien, weshalb den Deutsch-Polnischen Medientagen eine besondere Bedeutung zukommt, und ich mich freue, ihr Gast sein zu dürfen. Am Programm dieser Tagung finde ich vor allem attraktiv, dass Sie sich entschieden den Zukunftsfragen zuwenden, die wir gemeinsam zu lösen haben. Allerdings wird eine Verständigung darüber auch wiederum nur gelingen, wenn man jeweils die historisch unterschiedlichen Voraussetzungen im Auge behält, unter denen unsere beiden Gesellschaften ihre Herausforderungen definieren und unsere Politiker zu handeln pflegen: geschichtlich, soziologisch, teilweise auch – wenn auch nachlassend – religiös. Da wir vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen, aber doch überaus kontrast- und konfliktreichen europäischen Geschichte und Kultur so schnell keine europäische Einheitsgesellschaft erleben werden (und doch wohl auch kaum anstreben sollten), werden wir immer intelligente und einfühlsame Interpreten bleiben müssen, sowohl unserer Lage als auch der unserer Nachbarn.

Meine Damen und Herren, gelegentlich befallen mich rückwärtsgewandte Utopien. Wie wäre wohl die Geschichte verlaufen, wenn sich die Polen im 18. Jahrhundert, wie wohl einmal beabsichtigt, den Prinzen Heinrich von Preußen zum Wahlkönig hätten erheben dürfen - und dessen Bruder Friedrich 11. nicht sein Veto eingelegt hätte, spätere Absichten schon im Auge haltend? Oder wie, wenn der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. seine ursprüngliche Liebe Elisa Radziwill hätte heiraten und damit eine familiäre Brücke nach Polen schlagen dürfen? Solche Spekulationen sind natürlich reiner Unfug. Aber an uns Heutigen – in Polen wie in Deutschland – liegt es, so zu handeln, dass wir nicht in 20 Jahren (oder später) verpasste Gelegenheiten bedauern müssen.