In dem Beitrag „Zoff im Tagebau Turow – Gräbt Polen anderen das Wasser ab?“ stellte Bettina Wobst ein Problem aus drei Perspektiven dar. Die Tschechen, die im Dreiländereck leben, haben mit dem Absinken des Grundwasserspiegels Probleme, während die Deutschen über Risse in den Wänden ihrer Häuser klagen, die durch Bodenbewegungen verursacht werden. Sie machen dafür die Arbeiten im polnischen Tagebau Turow verantwortlich. Menschen, die mit dem Tagebau verbunden sind, sind jedoch weder mit diesen Behauptungen noch mit dem Urteil des EuGH einverstanden, gemäß dem der Tagebau geschlossen werden muss. Die Videoreportage zeigt die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts erzählt aber auch, wie sich das mangelnde gegenseitige Verständnis auf die Beziehungen zwischen den Nachbargesellschaften auswirkt. Die Journalistin konzentriert sich nicht nur darauf, was die Bewohner des Dreiländerecks trennt, sondern widmet auch viel Zeit dem, was sie verbindet. In ihrer Laudatio würdigte Alicja Rucińska, Jurymitglied und Korrespondentin beim Regionalsender TVN24 Stettin, den Beitrag der lokalen Journalistin zum Aufbau eines Dialogs zwischen beiden Seiten. Sie äußerte die Hoffnung, dass dies eine Inspiration für alle Journalisten aus kleineren Ortschaften sein würde. 

Bettina Wobst, die Autorin des preisgekrönten Beitrags, arbeitet seit 1997 für die Redaktion des MDR und ist auf Dokumentarfilme und Reportagen spezialisiert. Mit ihrem Beitrag über den Tagebau Turow möchte sie die Bewohner des Dreiländerecks zum Dialog und zur Suche nach einer gemeinsamen Lösung für dieses komplexe Problem anregen.

Das Thema Energiewende wurde auch in dem Podcast „Mensch Nachbar extra: Was kommt nach der Kohle?“ auf MDR Sachsen – Das Sachsenradio diskutiert. Der Autor der Sendung, Roman Nuck, sucht nach einer Antwort auf die im Titel gestellte Frage, indem er mit den Bürgermeistern von Horny Jiřetin in der Tschechischen Republik und Bogatynia in Polen sowie den Einwohnern dieser Städte und den Vertretern des Energiesektors spricht. Die Meinungen darüber, wie die Herausforderungen des Kohleausstiegs zu bewältigen sind, gehen auseinander. Der Journalist weist auch auf den Streit um das EuGH-Urteil hin, gemäß dem der Tagebau Turow geschlossen werden soll.

Auch die Videoreportage „Der Osten – Entdecke wo du lebst – Görlit[Z]gorzelec – Geteiltes Leben an der Neiße“ von Josefine Bauer und Nils Werner über die Städte, in denen die diesjährigen Medientage stattfanden, wurde für den Preis nominiert. In dieser Gegend sind die polnische und die deutsche Kultur auf besondere Weise miteinander verwoben. Der Beitrag stellt die Geschichten von Einheimischen vor – u.a. eines jungen Paares, eines Fotografen, eines Arztes oder einer Lehrerin – die de facto in zwei Ländern gleichzeitig leben. Sie wurden durch den historischen Kontext bereichert, der ein besseres Verständnis dafür ermöglicht, wie die Vergangenheit die gegenwärtigen Beziehungen der Bewohner der Neiße-Region beeinflusst hat. Die Autoren des Berichts zeigen, wie sich die nationale Identität und die gegenseitige Wahrnehmung der Nachbarn im Laufe der Jahrzehnte verändert haben. Es zeigt sich, dass die Unterschiede in der jüngeren Generation heute immer schwächer werden. Josefine Bauer ist eine unabhängige Journalistin.

An dem Wettbewerb um den Tadeusz Mazowiecki-Preis nahmen auch Beiträge teil, die die Geschichte ehemals deutscher Friedhöfe erzählen. Der Beitrag „Um nicht zu vergessen“ ist eine Reportage über die Geschichte der Erinnerungsorte der Einwohner von Zielona Góra – des ehemaligen Grünbergs. Bis heute gibt es in der Stadt mehr als ein Dutzend ehemals deutscher Friedhöfe. Im Beitrag verflechten sich die Stimmen von Historikern, die darüber sprechen, wie man der ehemaligen Bewohner gedenken kann, mit den Stimmen der Teilnehmer eines Spaziergangs auf den Spuren der Friedhöfe von Zielona Góra und des Fremdenführers. Der Führer erzählt von vergessenen Namen von Menschen, die zur Entwicklung der Stadt beigetragen haben und von denen heute jede Spur fehlt. Zu ihnen gehört Hugo Schmidt, ein Regionalist und Autor eines monumentalen Werkes über die Geschichte von Zielona Góra, das über 1200 Seiten zählt. Die Aussagen der Einwohner von Zielona Góra bei einem Spaziergang bieten eine einzigartige Gelegenheit für einen Einblick in die Erinnerungen der örtlichen Gemeinschaft. Sie sprechen zum Beispiel vom Jahr 1966, als sie beobachteten, wie bei Straßenarbeiten in der Nähe des Friedhofs Schädel von den Baggerlöffeln fielen.

Ein Stolperstein ist ein Stein, über den man stolpern kann. Gunter Demnig, der Schöpfer der Idee der Gedenksteine, lässt sie überall auf der Welt in Bürgersteige ein und schafft somit die größte verstreute Gedenkstätte für die Opfer des Dritten Reiches. Rafał Jesswein, den Autor des Artikels „Der Stolperstein“, der auf dem Portal „Monitor Szczeciński“ veröffentlicht wurde, nahm diese Initiative zum Vorwand, um über das Problem des Gedenkens an die Opfer des Holocaust in Löcknitz und Stettin zu sprechen. Der Journalist geht der Frage nach, wie die Erinnerung an die tragische Geschichte bewahrt und an die jungen Generationen weitergegeben werden kann und wer für diese Aufgabe verantwortlich ist.

„Der Geist von Anna Irmler. Einer Deutschen von hier“ ist die letzte der nominierten Reportagen. Der Autor des Textes Mateusz Pojnar beschreibt die Pläne zur Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof in Kolsk. Die Helden des Textes sind Stadtrat Paweł Zapeński und Tadeusz, auf dessen Grundstück sich mehrere Dutzend Grabsteine von ehemaligen deutschen Friedhöfen befinden. Sie beide wollen einen würdigen Platz für sie finden, denn, wie sie betonen: die Erinnerung an die Toten ist wichtig, unabhängig von ihrer Nationalität. Die Reportage enthält einen Kommentar des Autors mit dem Titel „Warum deutsche Grabplatten von vor hundert Jahren und mehr heute wichtig sind“, in dem fünf Gründe aufgeführt werden, warum vergessene Geschichte wiederbelebt werden sollte. 

„Journalismus an der Grenze“ ist eine einzigartige Kategorie, in der Journalisten ausgezeichnet werden, die sich auf lokale Themen konzentrieren. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Dialog zwischen Gesellschaften, die geografische Nähe verbindet aber  ihr Herkunftsland trennt.

Aleksandra Łukaszewicz