An der Diskussion über die deutsch-polnische Geschichte und über die schwierigen Themen, die in den gegenseitigen Beziehungen vorkommen, nahmen teil Tilla Fuchs (Sr2 Kulturradio), nominiert mit der Radioreportage „New York New York oder Neues aus der alten Heimat“, Agnieszka Hreczuk (Tagesspiegel), nominiert mit der Pressereportage „Alltag und Horror“, Emilia Smechowski (TAZ AM Wochenende) nominiert mit dem Text „Ich bin wer, den du nicht siehst“ und Bartosz T. Wieliński (Gazeta Wyborcza, Ale Historia), nominiert mit dem Artikel „Maczków nad rzeką Ems“. Moderiert wurde die Diskussion von Magdalena Grzebałkowska (Duży Format), Preisträgerin vom Vorjahr in der Kategorie Print mit dem Artikel „Śpiewać, hitlerówy“. Alle Gesprächsteilnehmer sind Autoren historischer Reportagen, in denen sie Themen behandeln, die mit der Geschichte Polens, Deutschlands und den gegenseitigen Beziehungen zusammenhängen.
Die Teilnehmer waren sich darüber einig, dass das Schreiben über die „Dämonen der Vergangenheit“ vor allem erfordert, sich der Stereotypen und eigener Überzeugungen, die man von Zuhause mitbekommen hat, zu entledigen. Dies war für Emilia Smechowski besonders wichtig, die als Kind mit ihren Eltern in einem Fiat 126p nach Deutschland ausgewandert war. Ihre Eltern sagten sich von ihrem Polentum los, deshalb war es für Smechowski schwer, ihre Identität neu zu entdecken und zu lernen, Polin zu sein. Über ihre Identitätskrise schrieb sie in der nominierten Reportage, die von den Lesern, besonders aus Polen, sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Diese sagten nämlich, dass Smechowskis Lebensgeschichte gleichzeitig ihre eigene persönliche Geschichte sei. Smechowskis Meinung nach ist es wichtig, die Geschichte nicht zu einer „schweren Suppe werden zu lassen, die alles andere zudeckt“. Deshalb müsse man das entsprechende Feingefühl haben.
Besonders bedeutsam ist auch die Sprache, derer sich ein Autor in seinem Werk bedient und mit der er den Rezipienten erreicht. Tilla Fuchs drückte ihre Beunruhigung darüber aus, dass sie von Polen und Deutschen zuweilen falsch verstanden werden kann, wenn sie in Legnica, aus dem ihr Vater als Kind vertrieben wurde, nach ihren familiären Wurzeln sucht. Es sei ihr gelungen, die Angst und die Barriere dank eines früheren Beitrages, in dem sie sich mit den deutsch-französischen Beziehungen befasst hatte, zu überwinden. Mit der Frage der Sprache hänge auch die spezielle politische Korrektheit der Deutschen zusammen, worauf Agnieszka Hreczuk hinwies. Die Überempfindlichkeit ihrer Redaktionskollegen habe ihr die Arbeit in dieser Hinsicht nicht erleichtert. Seltsamerweise fürchteten sich die Deutschen einerseits vor so schwierigen Themen, andererseits aber bäten sie darum, sich dieser anzunehmen. Agnieszka Hreczuk findet jedoch, dass die Tatsache, dass sie Polin ist, ihr ihre Aufgabe erleichtert, denn viele seien der Meinung, dass sie mehr dürfe, weil nämlich die sprachliche und kulturelle Barriere wegfalle. Dies habe ihr zweifelsohne sehr geholfen bei ihrem Text über das Leben der Bewohner von Auschwitz im Schatten des Konzentrationslagers und des Holocaust. Ergriffen erzählte sie von einem ehemaligen Häftling von Auschwitz, der sie zu überzeugen versuchte, dass die größte Demütigung für ihn nicht etwa der Hunger oder die Tatsache war, dass er im Lager gefangen war, sondern dass er sich vor einem „17jährigen Grünschnabel, einem deutschen Soldaten“ verbeugen musste.
Eine etwas andere Thematik greift Bartosz Wieliński in seiner Arbeit auf. Er sucht vor allem Themen, die mit der Geschichte Deutschlands zusammenhängen, denn er schreibt nicht gern über Polen, wie er selbst betonte. Deshalb ist der Text, mit dem er nominiert ist, der Ortschaft Haren gewidmet, die kurz nach dem Krieg von polnischen Arbeitern besiedelt wurde, die auf dem Heimweg von Zwangsarbeitslagern waren, und von Menschen, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten. Damals wurde der Name der Ortschaft in Maczków geändert. Bisher war die Geschichte über die Besetzung der Stadt durch Polen ein Tabu gewesen. Nach und nach aber ändert sich dies, das Ergebnis ist Wielińskis Text. Dies komme auch daher, dass erst die dritte Generation in der Lage sei, die Vergangenheit objektiv zu betrachten, sich mit diesen Themen zu befassen und sie zu beschreiben.
Das Gespräch zeigte, dass über Geschichte geschrieben werden muss, insbesondere über schmerzliche Themen und über die, die verschwiegen werden. Ideal wäre es, wenn ein solcher Text die Weltanschauungen der Menschen ändern und Stereotype zu Fall bringen würde. Doch, so Agnieszka Hreczuk, sei es traurig, dass so wenige Menschen über die angesprochenen Themen nachdenken. Dennoch werde sie schreiben, allein schon, weil ihr dies helfe und die Möglichkeit gebe, anders zu denken.