Die Krise im Osten Europas. Was sollen Polen und Deutschland tun?
Ist es sinnvoll, auf die Kreml-Propaganda mit einer Gegenpropaganda zu antworten? Sind die Sanktionen wirksam? Mit wem muss gesprochen werden, um die Krise im Donbass zu klären? Darüber wurde am 21. Mai in Stettin während der Eröffnungsdebatte der Deutsch-Polnischen Medientage diskutiert.

Die Diskussion unter dem Titel „Lehren aus der Krise um die Ukraine. Wie können Deutschland und Polen im Osten der Europäischen Union künftig gemeinsam agieren?“ moderierte Andrzej Gajewski, Chef des Ressorts „Welt“ beim Wochenmagazin Gość Niedzielny. Diskutiert haben: Viola von Cramon, Bundestagsabgeordnete der Grünen, Paweł Kowal, ehemaliger Abgeordneter des Europaparlaments, Moritz Gathmann, Journalist beim Spiegel sowie Piotr Andrusieczko und Paweł Pieniążek, Journalisten, die von den Ereignissen auf dem Majdan, der Annexion der Krim und dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine berichtet haben.

Von einem schwierigen Partner zu einem schwierigen Gegner
„Wenn wir über Russland sprechen, dürfen wir keine sanften Worte wählen“, sagte während der Debatte Paweł Kowal. „In Polen neigen wir dazu. Aber dann kann der Eindruck entstehen, dass wir keinerlei kritische Anmerkungen hätten.“
Viola von Cramon hingegen ist der Meinung, dass Europa sein Angebot der Partnerschaft an Russland erneuern sollte. „Die Hauptfrage zielt darauf ab, wann sich Russland aus dem Konflikt mit der Ukraine zurückzieht und zu diesem Angebot zurückkehrt“, betonte die Abgeordnete. Sie fügte hinzu, dass die Angebote der Zusammenarbeit, die das russische Regime, entgegen den Interessen der EU, Griechenland und Ungarn gemacht hat, in Brüssel wahrgenommen würden. Am wichtigsten sei es, dass es trotz der vielen Unterschiede der europäischen Länder gelingt, in den zentralen Fragen einheitlich zu bleiben. Dazu gehöre zum Beispiel die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Russland. „Ich hoffe weiterhin, dass die Beeinträchtigungen dazu führen, dass sich die russische Regierung zu einem Dialog entschließt“, sagte Viola von Cramen.

Die Bevölkerung im Donbass kann nicht entscheiden
Das Abkommen Minsk II vom Februar 2015 zwischen Russland, der Ukraine, den prorussischen Separatisten und der EU, wurde nach Meinung der Diskussionsteilnehmer teilweise umgesetzt. Keiner der Teilnehmer war  jedoch zufrieden mit dem Tempo der Umsetzungen der Verpflichtungen, und auch nicht mit der Art und Weise der Umsetzung.
„Die Probleme beginnen bereits beim Waffenrückzug. Ich befürchte, dass die Probleme mehr werden, wenn es zu politischen Forderungen kommt, wie beispielsweise die Durchführung von Kommunalwahlen auf dem von den Separatisten kontrollierten Gebiet“, so Piotr Andrusieczko. Paweł Pieniążek fügte hinzu, dass es keinen Sinn habe, die Bevölkerung vom Donbass danach zu fragen, in was für einem Land sie leben will. „Viele Menschen wissen nicht einmal, dass sie beim Referendum am 11. Mai 2014 nicht für die Föderation der Ukraine, sondern für etwas ganz anderes gestimmt haben. Die Fragen waren so formuliert, dass die Menschen sie nicht verstanden. Außerdem wissen die Menschen dort oft nicht, was sie wollen- Es hängt sehr davon ab, auf welche Weise die russischen Medien ihre Berichterstattung verändern“, sagte der Journalist. Die beste Gesprächsform sei der Dialog zwischen Russland und der Ukraine.

Jelzin und die dreistellige Inflation
„Die Russen stehen zu ihrem Präsidenten, weil die Medien ihnen sagen, dass ihr Land in Gefahr ist“, bemerkte Moritz Gathmann. Das Paradox bestehe darin, dass die Russen gleichzeitig die negativen Folgen der Sanktionen für ihre Wirtschaft spüren. „Früher bekam man für tausend Rubel eine volle Einkaufstasche, heute nur eine halbe. Trotzdem sind sie der Meinung, dass die Beeinträchtigungen notwendig sind, um den Westen zu zeigen, dass sie eine Großmacht sind“, so Gathmann. „Je mehr der Westen Putin kritisiert, umso mehr Unterstützung bekommt er von der russischen Gesellschaft. Sie können viel ertragen, weil sie sich noch immer an Jelzins dreistellige Inflation erinnern. Im Vergleich mit Jelzin, steht Putin noch immer gut da“, fasste Barbara Włodarczyk, Journalistin von TVP, zusammen.

Gegen eine Gegenpropaganda
Während der Diskussion wurde auch gesagt, dass es keinen Sinn habe, auf die russische Propaganda mit Gegenpropaganda zu antworten. Besser sei es, gründlich zu informieren. Einige Diskussionsteilnehmer postulierten, in Russland ein unabhängiges Medium zu schaffen, in dem professionelle Journalisten arbeiten würden.
Moritz Gathmann bewertete eine solche Initiative kritisch. „Die Russen, die Informationen aus mehreren Quellen bekommen möchten, können sie sich im Internet holen. Kanal Doschd, Nowaja Gaseta, es gibt noch andere oppositionelle Medien in Russland”, sagte er. Eine solche Idee sei Geldverschwendung, denn interessiert an einem unabhängigen Medium werden nur diejenigen Russen sein, die so oder so die Informationen aus den vom Kreml kontrollierten Medien kritisch betrachten. Gathmann betonte auch, dass ein solches Medium von dem russischen Regime nicht zugelassen werden würde.
Andrzej Grajewski führte jedoch ein positives Beispiel an: den Fernsehsender Belsat. „Anfangs gab es auch viele Gegenstimmen, doch heute schauen die Weißrussen diesen Sender, weil dort Informationen gebracht werden, die sie nicht in weißrussischen Medien finden“, erläuterte er. Viola von Cramer war ebenfalls seiner Meinung: „Brände in Sibirien und Tschernobyl, soziale Probleme – viele Dinge, die den durchschnittlichen Russen interessieren, werden von den dortigen Medien nicht thematisiert. Das müssen nicht immer politische Fragen sein.“
Moritz Gathmann sprach jedoch davon, dass man unterscheiden müsse zwischen dem Medienmarkt in Russland und dem in Belarus. Belsat sei erfolgreich, weil es keine Alternative gegeben habe, während es in Russland oppositionelle Medien gibt.
Alle Diskussionsteilnehmer waren sich jedoch darüber einig, dass die unabhängigen Medien sowohl in der Ukraine als auch in Russland Unterstützung brauchen.
Die Debatte fand im Rahmen der 8. Deutsch-Polnischen Medientage 2015, vom 21. bis 22. Mai in Stettin, statt.

Yaryna Onishechko
Beata Olejarka