Im Teatr Współczesny in Szczecin (Stettin) am 18.06.2009 während der Feierlichkeiten zur Verleihung des 12. Deutsch-Polnischen Journalistenpreises

Die Veranstalter haben mich gebeten, auf dieser feierlichen Zusammenkunft zur Verleihung des deutsch-polnischen Journalistenpreises ein paar Worte zu sagen. Vor allem möchte ich den Initiatoren der Medientage und des Preises gratulieren: den Marschällen der beteiligten Woiwodschaften Westpommern, Lebuser Land und Niederschlesien, und den Ministerpräsidenten der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen. Ich möchte den Gastgebern der Medientage gratulieren: der Stadt Stettin, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der Robert Bosch Stiftung. Das ist eine sehr gute Initiative, die ich sehr schätze.

Es ist charakteristisch, dass in zwei westlich gelegenen Städten Polens – in Breslau und in Stettin – solch bedeutende Veranstaltungen stattfinden: in Breslau die ungewöhnlich lehrreiche Ausstellung zur Geschichte Europas, und in Stettin die Deutsch-Polnischen Medientage – der deutsch-polnische Dialog in den Medien.

Ich bin beeindruckt von dem, was ihr hier vollbracht habt. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir uns etwas von den Menschen unterscheiden, die sich nicht an die Geschehnisse von 1989 erinnern und somit mit diesem Datum keine tieferen Empfindungen verbinden.[1] Das kommt dadurch, dass wir nicht diesen einen Feiertag haben, denn wir haben damals keine echte Mauer eingerissen. Wir waren allein. Wir waren die ersten und die einzigen und damals war überhaupt nicht klar, wie das alles ausgeht. Das Problem, keinen Feiertag zu haben, zeigte sich auch später, auch in den Streitigkeiten um die Bewertung dieser Ereignisse. Diese Streitigkeiten sind möglich, notwendig und erwünscht. Unnötig aber ist es, die Erinnerung  an dieses große Ereignis, an diesen in der Geschichte unseres Volkes selten vorgekommenen unblutigen Sieg zu zerstören.

Hätte sich jemand von den Anwesenden, der die damaligen Ereignisse bewusst erlebt hat, all das jemals vorher vorstellen können? Oder das, was die darauffolgenden 20 Jahre geschah? Etwas, was man für unmöglich gehalten hatte, war möglich geworden.

Die Teilung der Welt, die etwa 100 Kilometer von hier verlief, war plötzlich aufgehoben. Das ist weder einfach so, noch unerwartet passiert, sondern das war das Ergebnis einer Ansammlung zahlreicher historischer Ereignisse, die bereits heute Vormittag Erwähnung gefunden haben. Sie waren die Folge des Kampfes der Menschen in Berlin im Jahr 1953, in Budapest und in Poznań im Jahr 1956, des polnischen Oktobers, der Ereignisse im Jahr 1968 in der Tschechoslowakei und in Polen, der dramatischen Ereignisse von 1970 an der Küste und in Stettin, in Radom und in Ursus. Und letztendlich trugen die Ereignisse im Jahr 1980 dazu bei, und vorher die im Jahr 1979, sprich die erste Pilgerfahrt von Papst Johannes Paul II nach Polen, bei der wir spürten, dass wir keine Masse, sondern eine Gesellschaft sind, durch die wir unsere Kraft und unsere Würde zu empfinden begannen.

Ein Jahr später führte das zum Aufstand der Solidarność, die eine riesige Gewerkschaft und gleichzeitig eine politische Bewegung war. Das Kriegsrecht schaffte es nicht, die Solidarność zu zerschlagen, sie überlebte nicht nur im Untergrund, sondern auch an der Oberfläche. Sie überlebte in den Kirchen in den Messen für das Vaterland. Sie ging später in öffentliche Aktivitäten im Bürgerkomitee unter Lech Wałęsa über und führte zu den drei großen Akten 1989. Der erste Akt war der Runde Tisch. Er war anders als ursprünglich angedacht und hatte eine wesentlich weiter reichende Wirkung. Der Runde Tisch gab uns die Perspektive der Freiheit zurück, die Hoffnung auf freie (wenn auch nur teilweise) Juniwahlen – eine Art Korrektur des Runden Tisches, die das Volk vornahm. Das war vor allem eine moralische Korrektur. Der dritte Akt bestand in der Regierungsbildung am 12. September; ich hatte die Ehre, an der Spitze dieser Regierung stehen zu dürfen.

Bereits in den ersten Tagen unserer Regierungsarbeit waren wir mit dem Problem der Flüchtlinge aus Ostdeutschland konfrontiert und beschlossen sofort, dass wir auf die Gefahr hin, dass es zu Turbulenzen kommt und wir den damaligen Vertrag nicht einhalten, die Flüchtlinge absolut nicht an die DDR ausliefern können. Wir hatten Kontakt zu Menschen und Gruppierungen aus der DDR, die man manchmal vergisst. Das waren „Aktion Sühnezeichen” und Gruppierungen, die zu Evangelischen Kirchenkreisen gehörten. Wir wussten sehr gut, dass ihnen in den Jahren 1980 und 1981 der Kontakt zur Solidarność verboten wurde, ebenso das Einholen von Informationen über sie. Im Jahr 1989, als die Flüchtlinge mit Zustimmung der polnischen Regierung, des polnischen Außenministers und des polnischen Ministerpräsidenten Schutz in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau fanden, haben ihnen ganz normale Menschen geholfen. Das war der Dank für die Hilfe, die wir von ihnen während des Kriegsrechtes erhalten hatten.

In den ersten Monaten waren wir allein. Dann kam es in anderen Ländern ebenfalls zu verschiedenen Ereignissen. Die Berliner Mauer wurde eingerissen – da war Bundeskanzler Kohl gerade in Polen zu Besuch.
Uns war klar, dass unsere beiden Länder noch Dinge klären müssen – ein Problem war noch immer ungelöst geblieben: In der deutschen Sichtweise galt der Grundsatz, dass die endgültige Grenzregelung nur kraft eines Friedensvertrages vollzogen werden kann. Schon damals war schließlich allen auf der Welt klar, dass es diesen Friedensvertrag niemals geben würde. Deshalb nahmen wir die schwierigen 2+4-Gespräche mit Polens Beteiligung auf, in deren Ergebnis es zum Grenzvertrag und später zum Freundschaftsvertrag kam. Ich bin überzeugt davon, wäre es nicht dazu gekommen, wären die deutsch-polnischen Beziehungen heute nicht so gut, denn dieser Splitter würde noch immer stören. Wir haben ihn dank der Bemühungen und des gegenseitigen Verständnisses gezogen und eine Grundlage für gute deutsch-polnische Beziehungen geschaffen.
Es gibt eine zweite große Sache, an die vor allem hier erinnert werden muss. Trotz zuweilen absurder Stimmen, die die Ängste aufrechterhalten wollen, droht dem Eigentum der Bewohner von Stettin keine Gefahr. All diese Fragen sind geregelt und obwohl natürlich weitere grundbuchliche Klärungen erforderlich sind, gibt es keinerlei Bedrohungen. Die deutsch-polnischen Beziehungen entwickeln sich inzwischen auf einer festen und guten Grundlage.

Beide sind wir Mitglieder der Europäischen Union und beide sind wir Mitglieder der NATO. Wer hätte gedacht, dass das Problem zwischen Polen und dem vereinigten Deutschland, das großen polnischen Politikern keine Ruhe gelassen hat, gelöst werden wird und wir gemeinsam in der EU sein werden, und dass somit das Problem Polen-Deutschland-Russland andere Dimensionen annehmen würde. Ich glaube daran, dass – da es zur deutsch-polnischen Versöhnung gekommen ist – es auch einst zur polnisch-russischen Versöhnung kommen wird.

Die Geopolitik hat sich verändert und es hat sich die Situation Polens verändert. Polen hat das Recht auf Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung. Wenn uns aber heute so sehr daran liegt, dass Polen dementsprechende Positionen in der Europäischen Union einnehmen – gerade haben die Wahlen stattgefunden, es wird viel darüber gesprochen, welche Sitze wir dort bekommen – dann denke ich, dass man auch wahrnehmen muss, dass in Polen etwas ganz besonderes vor sich geht. Nämlich dass in unserem Denken über die EU eine gewisse Umstellung stattfindet: Von der Frage, was wir von der EU bekommen, zur Frage der gemeinsamen Verantwortung für die EU. Vom „die anderen: sprich die EU“ zum „wir: sprich die EU“. Und hier gibt es viel Gemeinsames zu tun.

Ich habe bereits heute Vormittag gesagt, dass ich die Beziehungen zwischen Polen, Deutschland und Frankreich für besonders wichtig halte. Heute, da im Zuge dieser Wahlen Skepsis und Partikularismus nicht nur bei uns, sondern in Europa und auf der Welt zum Vorschein treten, kann die Achse Polen-Deutschland-Frankreich eine große Herausforderung bedeuten, eine Antwort auf die neue amerikanische Partnerschaftspolitik, die der neue Präsident initiiert hat. Wir sollten den Anspruch haben, einen solchen europäischen Partner zu finden, und die Ambition, dass eben diesen drei Ländern daran liegt. Denn wir brauchen eine Vision. Wir müssen vorausschauend denken. Niemand wird uns für alle Ewigkeit Sicherheit garantieren können. Polens Sicherheit ist derzeit so behütet wie nie zuvor. Aber die Sicherheit und die Entwicklung Polens müssen gepflegt werden, sie sind nicht für immer gegeben.

Deshalb müssen wir uns große Ziele setzen. Große Ziele kann man sich auf jeder Ebene setzen, sowohl auf der lokalen, als auch auf der Ebene eines jeden Berufes. Wir wollen heute hier Journalisten auszeichnen. Der Journalismus ist ein äußerst wichtiger Beruf, der Journalismus ist eine äußerst wichtige Berufung.

Liebe Kollegen Journalisten, zum Schluss möchte ich meine Worte an euch richten. Ich sage „Kollegen“, weil ich mich als euer Kollege fühle. Der Journalismus ist ein große Herausforderung, aber wenn wir uns heute umschauen, müssen wir hart und offen sagen: der Zustand des Journalismus ist schlecht. Der Anspruch, den der Journalismus an sich stellt, ist sehr niedrig. Dieser Journalismus, vor allem der elektronische Journalismus, besteht leider sehr oft aus drei bis fünf Anrufen bei Kommentatoren zum Thema der aktuellen News, die nicht immer die wichtigste ist. Wie wenig soliden und guten Journalismus es doch gibt, wie wenig Journalismus, der internationale Probleme bespricht. Wie sehr sich doch im polnischen Journalismus Provinzialismus ausbreitet, wie sehr man sich verschließt, statt sich für die Welt zu öffnen. Der deutsch-polnische Dialog würde natürlich bedeuten, sowohl auf der Ebene lokaler Angelegenheiten als auch auf der Ebene globalerer Fragen, solchen schwachen Journalismus zu überwinden. Der deutsch-polnische Dialog muss diesen Journalismus überwinden; hoffen wir, dass er es tun wird.

Bevor ich heute hierher ins Theater gekommen bin, habe ich ein Interview gegeben. Man hat mich danach gefragt, was ich den Journalisten über deutsch-polnische Fragen zu sagen habe. Erstens muss man bedenken, dass es immer leichter ist, in den deutsch-polnischen Beziehungen etwas kaputt zu machen, als etwas aufzubauen. Schützen wir uns also davor, diese Beziehungen kaputtzumachen und bauen wir sie auf. Zweitens, schauen wir einander genauer an! Wir sind in erster Linie Menschen und das verbindet uns. Schauen wir einander genauer an, zeigen wir uns einander und übernehmen wir die Mitverantwortung für unser gemeinsames Europa!

Ich gratuliere Ihnen zu den Preisen, die Sie gleich erhalten werden. Ich wünsche Ihnen alles Gute und ich glaube daran, dass solcher Journalismus aus dem deutsch-polnischen Dialog hervorgehen und strahlen wird. Ich werde die bescheidene Hoffnung haben, dass einige meiner Wünsche in Erfüllung gehen: nicht zerstören, sondern aufbauen, mehr lächeln, mehr Freude, mehr Heiterkeit im öffentlichen Leben. Mit einem Wort: Mehr Jubel und Freude darüber, dass wir selbstbestimmt sind, dass wir frei sind, dass wir neben uns ein freies Land haben, das sich vereinigt hat, dass wir Freunde haben und dass wir Entwicklungsperspektiven haben. Ich hoffe auch, dass euch ein paar meiner Worte, die ich hier gesagt habe, im Gedächtnis bleiben. Danke.


[1] An diesem Tag fand eine Umfrage in den Stettiner Straßen statt. Die Veranstalter fragten Passanten, welche Assoziationen sie mit dem Jahr 1989 haben. Die Mehrheit der Befragten hatte Schwierigkeiten damit, diese Frage zu beantworten.