Die diesjährigen Finalisten und Finalistinnen des Wettbewerbs um den Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis haben die Probleme des heutigen Europa in Angriff genommen, die mit der Verantwortung für die Umwelt, der Migration, der Identität des Einzelnen, seiner Rolle in der Welt und der Angst vor einer ungewissen Zukunft zusammenhängen.

Soziale Ungleichheiten, die bei Lohnunterschieden besonders sichtbar sind, die Ausbeutung von Arbeitnehmern durch Großunternehmen und die Zerstörung der natürlichen Umwelt sind Themen, die in der Geschichte von Antek, einem Lkw-Fahrer, der Amazon-Produkte transportiert, aufgegriffen werden. Der preisgekrönte Beitrag von Magdalena Szaniawska-Schwabe und Reinhard Laska zeigt die Folgen der Strategie der Kostenminimierung, unter der sowohl die Arbeitnehmer als auch die Umwelt leiden. Die preisgekrönte Reportage „Das globalisierte Päckchen: Was der Amazon-Erfolg wirklich kostet“ überzeugte die Jury durch ihre Feinfühligkeit und die Art und Weise, wie sie diese wichtige Geschichte kompakt und kohärent erzählt.

„Im Beitrag von Magdalena Szaniawska und Reinhard Laska erfahren wir sowohl rational erzählt als auch emotional unterlegt, was der Amazon-Erfolg wirklich kostet. Für das Unternehmen mag das wohl wirtschaftlich- oder besser gewinnbringend sein, es ist jedoch keinesfalls umweltfreundlich. Den Autoren ist es gelungen, dieses wirtschaftliche Gebaren als neue, moderne Ausbeutungsform zu entlarven. Das Autorenduo bietet mit dem Beitrag eine andere Sicht auf das deutsch- polnische Verhältnis, das beim Zuschauer ein ungutes Gefühl hinterlässt“, so Bogna Koreng, MDR-Studioleiterin, die die Entscheidung der Jury begründete.

Die Reporter Fred Pilarski und Riccardo Wittig konzentrierten sich auf einer ungewöhnlichen Heldin. Der Beitrag „Die Oder – Wasserstraße oder Naturparadies?“ erzählt die Geschichte eines Streits, bei dem Ökonomie und Ökologie aufeinanderstoßen. Die Regulierung des Flussbettes der Oder könnte enorme Gewinne aus Handel und Tourismus bringen und würde den Transport von Zehntausenden von Tonnen von Gütern pro Jahr auf dem Wasserweg ermöglichen. Doch dann würde sich der Wasserstand ändern und Hunderte von Vogel-, Fisch- und anderen Tierarten würden ihre Heimat im deutsch-polnischen Fluss verlieren. Die Autoren der Reportage versuchen, die Positionen der verschiedenen Konfliktparteien zu verstehen und fragen, ob fortgeschrittene technologische Lösungen es ermöglichen könnten, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen.

Ebenso komplexe Fragen berührt Vivien Pieper in ihrer Reportage „Agata allein zu Haus – Alltag einer Migrantenfamilie in Polen“. Darin stellt sie eine Kinderreiche Familie vor, die versucht, mit den Herausforderungen, die mit der Arbeit des Vaters und des ältesten Sohnes in Deutschland verbunden sind, die Stirn zu bieten. Der von der MDR-Plattform produzierte Beitrag erzählt von der Sehnsucht nach der Familie, von Ausgrenzung und von harter körperlicher Arbeit ohne rechtlichen oder sozialen Schutz. Eine Rückkehr in ihre Heimat und ein Zusammenleben mit ihren Angehörigen sind jedoch wegen den niedrigen Löhnen in Polen nicht möglich.

Ein weiteres sozial engagiertes Projekt ist die TVN 24-Reportage „Gelobtes Land“ von Arkadiusz Wierzuk, die die Schließung der polnisch-belarussischen Grenze kritisiert. Sie schildert die Erfahrungen von Flüchtlingen, die über die polnische Grenze nach Europa kommen. In Polen gelten sie automatisch als illegale Immigranten; wenn es ihnen gelingt, sich nach Deutschland durchzuschlagen, haben sie eine Chance, ein neues Leben zu beginnen. Der Beitrag zeigt die Folgen der verschiedenen Migrationspolitiken in einer Welt, in der Millionen von Menschen gezwungen sind, aus der eigenen Heimat zu fliehen.

Piotr Czyszkowski, Piotr Kucznir und Radosław Bugajski wiederum versetzen uns in ihrer Reportage „Das geheimnisvolle Niederschlesien – ein amerikanischer Spion“ in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als in dieser Region die Geheimdienste der Supermächte tätig waren, die den Kampf um den Einfluss in Mitteleuropa fortsetzten. Die Reportage lässt die weniger bekannte Geschichte Niederschlesiens wieder aufleben.

Eine historische Perspektive bietet auch die Reportage „Mädchengeschichten“ von Barbara Sieroslawski. Sie erzählt die Kriegs- und Nachkriegsschicksale von drei Frauen – einer Polin, einer Deutschen und einer Jüdin – und regt zum Nachdenken über Identität und zum Dialog jenseits von Vorurteilen an.

Die Autoren der Reportagen, die im Rahmen des Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreises ausgezeichnet wurden, setzen sich mit den Problemen des heutigen Europa auseinander. Die meisten der ausgezeichneten Berichte zeigen Helden und Heldinnen inmitten großer Konflikte – ihre Geschichten repräsentieren die Erfahrungen ganzer Gemeinschaften. Sie machen uns bewusst, welchen Herausforderungen der Einzelne in der heutigen Welt begegnet. Während die Pandemie langsam in den Hintergrund rückt, prägen Krieg, Migration, Identitätskonflikte, ökologische und ökonomische Herausforderungen zunehmend unseren Alltag. Daher ist die Rolle der Reporterinnen und Reporter, die es uns ermöglichen, uns in den von ihnen präsentierten Geschichten wiederzufinden, ebenso wichtig, denn sie kümmern sich darum, dass die Zeugnisse ähnlicher Erfahrungen bewahrt werden, und nicht selten bringen sie das Publikum aus seiner Komfortzone heraus.

Wiktor Knowski