Auch in guten Zeiten gibt es gute Themen!

Ein Gespräch mit dem Jurymitglied des Wettbewerbs um den deutsch-polnischen Journalistenpreis, dem Journalisten des polnischen Wochenmagazins Polityka und Deutschlandkenner Adam Krzemiński.


Dorota Katner: Wie ist Ihr Eindruck, nachdem Sie die Beiträge gelesen haben, die in diesem Jahr eingereicht wurden?

Adam Krzemiński: Vor allem haben wir aus Polen in jeder Kategorie entschieden weniger Beiträge erhalten.

DK: Kommt das, weil zwischen Warschau und Berlin Normalität eingetreten ist?

Adam Krzemiński: Genau. Es gab keine aktuellen streitbaren Themen, die die Konjunktur des Schreibens über Deutschland angekurbelt hätten. Wenn es keine Reibungen zwischen Polen und Deutschland gibt, dann schenken die Redaktionen Deutschland nicht viel Aufmerksamkeit. Wenn es gut läuft, scheint es nichts zu geben, worüber man schreiben könnte. Das schlägt sich in der Zahl der eingereichten Beiträge nieder.

DK: Aber zum Beispiel über die in Berlin gezeigte Ausstellung „Tür an Tür“ haben alle Medien berichtet. Warum spiegelt sich das nicht in den Beiträgen wider?

AK: Das stimmt. Da sprechen Sie eine wichtige Sache an. Die Beiträge werden von Interessierten oder von deren Kollegen eingereicht. Deshalb kommen oft gute Materialien gar nicht bei uns an, sie werden einfach nicht eingereicht. Vielleicht müsste man über eine Änderung der Prinzipien nachdenken, zum Beispiel dass auch Dritte Beiträge einreichen können.

DK: Die Preisstifter denken bereits über diese Frage nach. Vielleicht gelingt es, vor der nächsten Ausgabe, die Prinzipien zu ändern. Aber zurück zu den Beiträgen. Welche Themen dominieren in diesem Jahr?

AK: Es sind weniger historische Themen, was zeigt, dass die Frage Erika Steinbach nicht mehr vordergründig ist, aber das Thema Krieg kommt weiterhin vor: Krieg, Kriegstraumata, die Schuldfrage auf deutscher Seite, die Beziehung zwischen der dritten oder vierten Generation der Nachkommen der Täter und der Nachkommen der Kriegsopfer. Dieser Themenbereich – nennen wir ihn „Beiträge der verlorenen Zeit“ – über die heutigen Begegnungen von Deutschen mit Polen sind besonders interessant. In diesen Arbeiten verbindet sich der Blick in die Vergangenheit mit den Erfahrungen der jungen Generation heute. Gleichzeitig ist zu sehen, dass die jungen Menschen in die Zukunft schauen, dass sie nicht die Wunden aufkratzen.

DK: Gibt es noch andere Hauptthemen?

AK: Es ist schwierig, eine Hauptströmung auszumachen. Wenn schon, dann sind das wie angedeutet Themen der Vergangenheit, die wirtschaftliche Asymmetrie, polnische Obdachlose in Deutschland. Diese Themen sind natürlich auch die „wirkliche Wirklichkeit, aber das ist nicht das Antriebsrad in den derzeitigen deutsch-polnischen Beziehungen.

DK: Und was ist mit der Ökologie, der in Deutschland und in Europa so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird?

AK: Ein bisschen Ökologie war dabei, ich betone: ein bisschen. Die polnischen Medien beißen bei diesen Themen aber nicht an, obwohl das, wie Sie schon sagten, eines der wichtigsten Themen derzeit ist.

DK: Gibt es ganz neue Themen?

AK: Ja. Die Wirtschaft, die Frage der doppelten Identität von Polen, die in Deutschland geboren sind, in Schlesien, aber nicht als deutsche Minderheit, sondern das heutige Schlesien und seine wirtschaftliche Situation.

DK: Welche Themen fehlen Ihnen bei den eingereichten Arbeiten?

AK: Im Jahr der EURO 2012 und der Olympiade wurde kein einziger Sportbeitrag eingereicht! Es gibt überhaupt keine kulturellen Themen, Texte, die das Literatur- oder Theaterleben im Nachbarland zeigen, es sind auch keine Beiträge über das Alltagsleben dabei, die eine bestimmte Atmosphäre im Nachbarland einfangen. In den heutigen Medien ist kein Platz für komplexere Abbilder Deutschlands.

DK: Sie haben keine politischen Beiträge erwähnt.

AK: Weil keine dabei sind. Wir hatten das wichtige Jahr der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, wo das gute Verhältnis zwischen Ministerpräsident Tusk und Bundeskanzlerin Merkel keine geringe Rolle für die ganze EU gespielt hat, aber die polnischen Medien sind nicht in der Lage, über das Bilaterale an dieser Beziehung hinauszuschauen. Mir fehlt in den polnischen Medien sehr der europäische Blick, der sich in einer kunstvollen Gattung zeigen würde, wie es z. B. die politische Reportage ist, eine der wichtigsten Gattungen in der Presse aus der Vorkriegszeit. Bei uns dominiert stattdessen die aktuelle, trockene Berichterstattung über politische Fragen, die keinerlei Atmosphäre wiedergibt – und das reicht nicht für einen Preis.

DK: Und was ist mit den Stereotypen? Beziehen sich die Journalisten noch immer darauf?

AK: Ja, in den Beiträgen sind Bezüge auf Stereotype zu finden. Ich weiß nicht, ob ich damit zu viel verrate – in diesem Falle müssten Sie das streichen – aber in den eingereichten Arbeiten aus Polen und Deutschland kommt das Thema polnischer Arbeitsloser und polnischer Schwarzarbeiter vor. Schließlich haben wir auch eine andere Wirklichkeit, die sich weder die Deutschen noch die Polen vorstellen konnten. Polen ist derzeit das Land mit dem höchsten Wirtschaftswachstum in der EU, der deutsch-polnische Handel ist reger als der polnisch-russische, und Polen hat in diesem Handel eine positive Bilanz. Wir haben jetzt also auch eine wirtschaftliche Wirklichkeit, außerhalb von Arbeitslosigkeit, Armutszone, Korruption und Versagertum, die aber kaum beschrieben wird.

DK: Ist das die Angst vor der „Erfolgspropaganda“?

AK: Vielleicht. Oder eher die Angst der Medien vor langweiligen Material,. Ich glaube kaum, dass ein dreißigjähriger Journalist von der Gierek-Propaganda traumatisiert sein kann.

DK: Dennoch hat im vergangenen Jahr der Text von Rafal Woś in „Dziennik Gazeta Prawna” über gelungene polnische Investitionen auf dem deutschen Markt in Zielona Góra den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis gewonnen.

AK: Ja, wir haben einen soliden Text ausgezeichnet, der eine andere, eine positive Geschichte polnischen Unternehmertums in Deutschland gezeigt hat. Aber es sei darauf hingewiesen, dass das keine „Miniporträts“ nach sich gezogen hat. Dabei bieten sich die Themen doch an: die Schnittstelle von Politik und Wirtschaft im Zusammenhang mit der Wulff-Affäre, Geschichte und Mentalität der Neureichen, akademische Themen – die polnischen Medien informieren überhaupt nicht über deutsche Hochschulen, an denen schließlich Tausende Polen studieren. Ohne Umschweife gesagt: die Medien umgehen die neuen Themen. Sie weichen Themen aus, die nicht viel mit Erika Steinbach zu tun haben oder dem „Großvater in der Wehrmacht“. Zum Beispiel dem Thema „Die Macht der deutschen Mittelschicht“. Wir haben eine neue Wirklichkeit: Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, fast 10 Jahre nach dem Beitritt Polens zur EU – wo Polen in Europa eine ganz andere Stellung hat. Aber diese Themen gibt es in den eingereichten Beiträgen nicht. Die Medien greifen diese modernen Themen nicht auf, weil sich seit 2005 unterschwellig der Glaube hält, die „Geschichtspolitik“ hätte Priorität. Außerdem sind neue Themen auch mit Kosten verbunden, erfordern neue Recherchen. Wer kann sich schon ein Interview vor Ort leisten? Dass es an Geldern fehlt sieht man wohl am deutlichsten beim Fernsehen. Auf TVP sind solche Filme, wie auf Arte gezeigt werden, nicht, zu sehen, auch keine einstündigen Berichte zum Beispiel über eine Reise auf dem Rhein, und zwar kein landeskundlicher Film, sondern einer, der die Menschen zeigt, ihren Alltag, und der das Einzigartige eines Ortes einfängt.

DK: Das heißt, dass die Journalisten auf ausgetretenen Pfaden gehen und dass es den herkömmlichen Klischees weiterhin gut geht?

AK: Nein, es geht ihnen relativ schlecht, obwohl sich diese Klischees leicht bedienen und verkaufen lassen. Wenn man in der Redaktion sagt „ich habe einen interessanten polnischen Arbeitslosen in Deutschland gefunden“, wird so ein Thema eher angenommen als ein Beitrag über jemanden, der erfolgreich ist.

DK: Wenn Sie sich einen idealen Beitrag wünschen dürften, wie würde der aussehen?

AK: Ich würde mir mehr tatsächlichen Austausch der deutschen und polnischen Journalisten wünschen. Vor 1989 haben wir das praktiziert. Ich stelle mir einen Austausch vor, der darauf beruht, dass junge Deutsche für die polnische Presse schreiben, und junge Polen für die deutsche. Ich wünsche mir Themen und Personen, die morgen von Bedeutung sein werden. Ich wünsche mir, dass die Beiträge über Deutschland oder polnisch-deutsche Themen, mich mit Sensibilität und Einfallsreichtum für sich einnehmen. Und wenn sie dann noch handwerklich gut gemacht wären, nach den Regeln der „alten Schule“, wo man, wenn man ein gutes Thema hatte, nach einer originellen Idee gesucht hat, um die Schablone zu vermeiden – hätten wir auch nach Jahren unbezahlbare Wissensquellen über Deutschland.

DK: Das wünsche ich Ihnen und uns allen. Vielen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch führte Dorota Katner, März 2012
Übersetzung: Antje Ritter-Jasińska