Kulturhauptstadt ohne Zensur - von Agnieszka Oszust

Wrocław hatte den Wettbewerb um die Kulturhauptstadt Europas gegen zehn polnische Städte gewonnen. Darunter waren unter anderem Gdańsk, Katowice, Lublin und Szczecin. „Wie kam es, dass ausgerechnet die Stadt an der Oder diesen Titel bekommen hat?“, fragte der Moderator Bernd Schekauski. Harald Roth, Leiter des Deutschen Kulturforums östliches Europa musste nicht lange überlegen und antwortete: „Seit Jahrzehnten untersuchen wir Städte, die Kulturhauptstadt Osteuropas waren. Wrocław ist hier etwas besonderes, denn die vorangegangenen Städte verstanden sich selbst als Zentrum der Ereignisse und andere als Provinz. Lediglich die Hauptstadt Niederschlesiens hat sich für andere geöffnet. Sie hat ihre Chance erkannt und sie genutzt“, sagte Roth.

Diese Aussage wurde von Katarzyna Młyńczak-Sachs ergänzt. Die Spezialistin für internationale Beziehungen in der Europäischen Kulturhauptstadt sagte, die Vorbereitungen auf den Titel haben acht Jahre gedauert. „Wir wollten nicht ganz Europa zuplakatieren und überall Banner aufhängen, die nach Wrocław einladen. Stattdessen haben wir stark auf die Medien gesetzt. Die ganze Zeit über laden wir Journalisten aus verschiedenen Ländern ein, die Ereignisse in Wrocław zu besuchen.“

Diese Strategie zeigte ihre Wirkung. Im ersten Quartal der Kulturhauptstadt Europas gab es in den Medien über 7500 Publikationen über Wrocław, von denen fast 3000 Berichterstattungen aus dem Ausland sind. Wichtig sei, so Młyńczak-Sachs, das ein Drittel davon Berichte im Internet erschienen sind, der Rest in der Presse, im Radio und im Fernsehen.

Es gab auch Stimmen aus dem Publikum. Die Teilnehmer wollten wissen, ob kostspielige Projekte nicht Kritik unter den Einwohnern hervorrufen? Der Moderator führte als Beispiel das Nationale Musikforum an, sprich das neue Gebäude der Philharmonie in Wrocław. Der Bau hatte über 460 Millionen Zloty gekostet. „Dieses Geld hätte man für die Finanzierung von Nischentheatern für mehrere Jahre verwenden können“, so Schekauski. Młyńczak-Sachs sagte, die Durchführung vieler, selbst derart kostspieliger Projekte, würde sich im Falle von Wrocław bezahlt machen: „Die aufgeregte Diskussion um das Musikforum ist in letzter Zeit zurückgegangen. Das Gebäude erfüllt seine Rolle. Die Säle sind voll, und das Programm konzentriert sich nicht nur auf klassische Musik. Dort finden Konzerte alternativer Musik und Jazz statt, und Bildungsveranstaltungen für die ganz Kleinen mit Eintrittskarten für drei Euro. Und die OFF-Kultur in Wrocław hat auch ihren Platz.“

Der zweite Teil der Debatte konzentrierte sich auf die staatliche Kulturpolitik und ihren Einfluss auf die Kulturhauptstadt Europas. Der Moderator fragte, wie die Worte des Kulturministers Piotr Gliński zu interpretieren seien. Dieser hatte in einem Interview für eine deutsche Zeitung gesagt, es gebe keinen Grund dafür, der Gruppe, die zum Untergang polnischer Traditionen beitrügen, bei der Verteilung von Geldern für die Kultur zu bevorzugen: „Geht in den Köpfen vieler Künstler da nicht eine rote Lampe an? Fürchten sie sich nicht, dass sie für bestimmte künstlerische Projekte keine Zuschüsse bekommen?“, fragte der Moderator. Die Antwort gab Katarzyna Wielga-Skolimowska. Die Direktorin des Polnischen Institutes in Berlin sagte, dass die Aussagen des Kulturministers nicht immer entscheidend seien. „In unserem Land wird die Kultur pluralistisch finanziert. Einen großen Beitrag leisten vor allem die Städte.“ Damit drückte Wielga-Skolimowska aus, dass sich die Künstler nicht vor Zensur zu fürchten brauchen.

Dies bestätigte Harald Roth. Gefragt vom Moderator, ob von der Regierung Druck auf das Kulturforum ausgeübt werde, sagte er: „Wir führen viele Projekte durch, darunter solche mit polnischen und deutschen Schülern zum Thema Vertreibungen. Damit gab es keine Probleme. Wir werden sehen, wie das in der Zukunft aussehen wird.“

„Warum also wird die nationale Kultur so stark beworben?“, fragte der Moderator weiter.

Wielga-Skolimowska antwortete: „Wir hatten im Gegensatz zu den westlichen Ländern keine Zeit, nach dem Krieg unsere Identität zu ordnen, unseren Platz in Europa zu finden. Innerhalb von 25 Jahren Freiheit ist viel passiert, beispielsweise sind wir der Europäischen Union beigetreten. Vielleicht bricht deshalb die Diskussion über grundlegende Werte jetzt mit doppelter Macht aus. Es ist jedenfalls wichtig, sich auf Gespräche vorzubereiten, und keine Kriege zu führen.“