Das Radio lebt und zwar hörbar deutlich! Weder Internet noch Social Media und auch das Fernsehen nicht haben den Hörfunk in die Ecke gedrängt, in die ihn manche gerne sehen möchten, ein Sekundärmedium zum Abspielen von Hits und Spots. Nein, es gibt sie noch Radiosendungen, die ein Kino im Kopf entfalten, die Emotionen schildern und Informationen verbreiten. Ruhig, sprachlich gewandt mit langem Atem und viel Gefühl. Alle Beiträge, die für den Deutsch-polnischen Medienpreis Thadeusz Mazowiecki eingereicht wurden erfüllen diese Kriterien. Das Niveau ist beachtlich und eigentlich können sich alle als Gewinner fühlen, die heute hier im Raum sind.
Aber dann brauchte man ja eine Jury nicht und einen Sieger unter den Gewinnern sollte es doch geben. Thematisch kreisen die eingereichten Arbeiten in diesem Erinnerungsjahr viel um die Geschichte. 1945 die Befreiung von Auschwitz, das Ende des 2. Weltkrieges, die Aufarbeitung von Ereignissen, die so unfassbar sind, dass selbst beim heutigen Hören der Atem stockt. „Der letzte Zeuge“ ist eine solche Geschichte, erzählt von Samuel Willenberg, dem letzten noch lebenden ehemaligen Häftling des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Treblinka.
Genauso viele Wettbewerbsbeitäge beschäftigen sich aber auch mit alltäglichen Geschichten, Geschichten vom Zusammenleben der Menschen heute, in der Gegenwart in Polen , in Deutschland und Europa. Die Jury hat sich entschieden diesen Beiträgen den Vorzug zu geben.
„Waschen, füttern, trösten“, ist die Geschichte von polnischen Pflegerinnen in Deutschland, eine Sendung des Westdeutschen Rundfunks, die sehr einfühlsam auf die Schicksale älterer Deutschen und ihrer polnischen Betreuerinnen eingeht, eine Reportage die persönliches Erinnern und gegenwärtiges Erleben miteinander verbindet.
Auch die Grenzgeschichten aus Görlitz/Zgorzelec  - zwei Länder eine Stadt -  gehören dazu, ein praller Bilderbogen, der die Brücke über den Fluss als Symbol für  Begegnungen von Deutschen und Polen schildert – eine ganz hervorragende Idee.
Noch besser aber ist es, wenn im Sinne der Ausschreibungen zum deutsch-polnischen Journalistenpreis, noch eine Prise Europa dazu kommt und das lässt sich wunderbar schildern im Dreiländereck von Polen, Tschechien und Deutschland. Hier treffen im grenznahen Raum Menschen aufeinander, kreuzen sich Lebenswege und Perspektiven wie sonst nirgendwo, wo Polen, Deutsche und Tschechen sich begegnen.
Da ist der Deutsche Sven Tonsohn, der sich nach vielen Jahren als Küchenchef in führenden Hotels der Welt  in Breslau niederlässt, obwohl er dort viel weniger verdient, aber den Lebensstil dieser weltoffenen Stadt liebt. Da ist Hana Czervinkova, die sich immer noch wundert, dass sie als Tschechin, die weltberühmte Jahrhunderthalle im polnischen Breslau leiten darf und da sind die vielen Kinder, die in zwei – und dreisprachigen Kindergärten und Sprachschulen ein kunterbuntes Paradies von unterschiedlichen Sprachen, Akzenten und Dialekten  des Dreiländerecks miteinander verbinden.
Und wir treffen polnische Ärzte, die ihren Patienten erklären müssen, dass das Krankenhaus aus der auch in Polen ausgestrahlten Fernsehserie „In aller Freundschaft“ nicht in Polen steht, sondern die Kulisse einer deutschen TV Produktion ist. Drei Länder und viele kleine Geschichten. Und es sind drei Autoren, die sie erzählen, einer aus Polen, einer aus Tschechien und einer aus Deutschland. Sie alle sehen Menschen und Ihre Geschichten aus ihrer Perspektive mit ihren Hör- und Erzählgewohnheiten. So entsteht gleich ein mehrdimensionales Hörerlebnis.  Allen dreien ist es gelungen im Dreiland, mitten in Europa   das Alltägliche zum Ereignis zu machen. Ganz so wie es Radio kann. Und sie verlieren sich dabei nicht nur im Beiläufigen. Ihre Sendung endet mit einer Reportage über einen Polizeieinsatz, bei dem auf polnischer Seite Autodiebe verfolgt, gestellt und verhaftet werden. Adreanlin pur!
Es ist den Autoren sehr gut gelungen diese Geschichten zusammenzufassen. Sie selbst formulieren es so: „Obwohl alle verschieden Sprachen sprechen, ihr Geld in unterschiedlichen Währungen verdienen, und nur selten zugeben, dass sie sich mit ihren Nachbarn hinter dem einstigen Grenzbalken integriert fühlen sind sie doch die Helden dieser kleinen Geschichten. : die kleine Zdenka aus Tschechien, die mit polnischen Kindern zusammen eine deutsche Schule besucht oder die mit Einkaufstaschen beladene Katarzyna auf der Europabrücke von Görlitz.  Ein neuer unverstellter Realismus in der Grenzregion!
Der diesjährige Deutsch-polnische Journalistenpreis Tadeusz Mazowiecki in der Kategorie Hörfunk geht an: Thomasz Sikora, an Roman Nuck und Thomas Kopecky für „Dowodiczek Osobisticzek czyli Nowy Realism Graniczny", eine Produktion von Radio Wroclaw.

Herzlichen Glückwunsch!
Jürgen Hingst