Adam Krzemiński über Konrad Schullers Pressebeitrag „Der neue Schlesier“


Meine Damen und Herren, liebe Kollegen!

Als einer der Juroren des deutsch-polnischen Journalistenpreises habe ich die Ehre, unser Verdikt in der Sparte Printmedien zu begründen. Der diesjährige Preis geht an Konrad Schuller von der „Frankfurter Allgemeinen“ für die Reportage „Der neue Schlesier“ (FAZ 19. 05. 11).

Nun gelten traditionell die Tages-, Wochen- und manchmal auch Monatszeitschriften als Hort des Edeljournalismus, obwohl das Fernsehen, der Rundfunk und die neuen Internet-Gattungen wie die Blogs viel mehr Abnehmer erreichen. Die Printmedien sind seit dem 18. Jh. eng mit der Literatur verbunden, und viele Journalisten oder Reporter wurden auch vorzügliche Schriftsteller, in Deutschland etwa Theodor Fontane und in Polen Bolesław Prus.

Wir zeichnen zwar nicht das journalistisches Lebenswerk eines Autors aus, sondern vielmehr einen konkreten Beitrag. Doch wenn wir schon eine Reportage von Konrad Schuller ausgewählt haben, möchte ich bei der Gelegenheit gerade auf die literarische Qualität von Konrads – wie man so sagt – Schreibe hinweisen, die sowohl deutsche als auch polnische Leser dank seines - unlängst auch ins Polnische übersetzten - Buches „Die letzten Tage von Borów“ kennenlernen konnten, einer exzellenten literarischen Arbeit, die begleitende Reportage, eindringliche Interviews mit Dutzenden Gesprächspartnern vor Ort, sorgfältige Recherchen in polnischen wie deutschen Archiven und essayistische Einlagen, die die tiefere Bedeutung der dargestellten Tatsachen beleuchten, miteinander verbindet. Ein exzellentes Buch, exzellentes Handwerk, exzellentes Sprachgefühl.

Diese handwerkliche Kunst findet der Leser auch in Konrad Schullers FAZ-Beiträgen aus Polen und der Ukraine. Konrad schreibt nicht in der inzwischen stark standardisierten – und glänzend unpersönlichen - Sprache, wie sie Journalistenschulen ihren Adepten beibringen, er hat seine eigene, ganz individuelle Ausdrucksweise. Man spürt, dass er zur Auffrischung seiner sprachlichen Sensibilität – wie einst Kapuściński – immer wieder nach der großen Literatur greift. Ohne Schnörkel und Verzierungen, mit homöopathisch sparsamen Mitteln gibt er vorzüglich die Stimmung wieder und skizziert die historischen Hintergründe und Charakteristika der Menschen, mit denen er zu tun hat.

So ist es auch in dem von uns ausgezeichneten „Neuen Schlesier”. Das ist eine Reportage aus Kattowitz über die Autonomiebewegung in Oberschlesien (RAŚ), dem zahlreiche Hintergrundgespräche sowohl mit den Anhängern als auch den Widersachern des RAŚ vorausgingen. Der Autor skizziert die verwickelte Geschichte Oberschlesiens im 20. Jahrhundert, einen der Steine des Anstoßes zwischen Polen und Deutschland nach 1918. Er stellt die komplizierten Familiengeschichten der Oberschlesier und die Herausbildung eines neuen Regionalbewusstseins dar, das polnische wie deutsche Traditionalisten, die daran gewöhnt sind, vorwiegend in den Kategorien einer deutsch-polnischen nationalen Konfrontation zu denken, gleichermaßen ärgert.

Die Bewegung für die Autonomie Schlesiens war in Verbindung mit der Volkszählung und den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr ein heißes Thema, das die polnischen Medien – wie man so sagt – laufend bedienten, parallel zur Zuspitzung der innerpolnischen Auseinandersetzung. Konrad Schuller dagegen gab dem deutschen Leser einen Einblick in die Essenz des Phänomens: In Polen – das 1945 um etwa zweihundert Kilometer westwärts verschoben wurde – regt sich ein neues regionales Bewusstsein, das ein Indiz nicht etwa für eine Destabilisierung der polnischen Gesellschaft, wie manche Konservative fürchten, sondern für ein gefestigteres Selbstbewusstseins und eine für die Regionen erfrischende Tendenz zur Dezentralisierung ist. Konrad Schullers Kindheit in Rumänien im Milieu der deutschen Minderheit dürfte ihm diese feinen Antennen für die Nuancen der „hybriden Identität“ der Schlesier mitgegeben haben …

Beide Elemente – die hohe journalistische Kunst des Autors wie die subtile Behandlung eines delikaten Themas – haben die Entscheidung der Jury beeinflusst, in diesem Jahr Konrad Schullers Reportage aus Oberschlesien auszuzeichnen. Wir gratulieren dem Sieger auf das Herzlichste, und ich darf noch die private Zusicherung anfügen, dass ich auch weiterhin neugierig nach Konrads Berichten in der FAZ greifen werde, unabhängig davon, welchem Land sie gelten mögen …