Adam Krzemiński, langjähriger Mitarbeiter der Zeitschrift POLITYKA, der ZEIT sowie der FAZ, Jurymitglied im Wettbewerb um den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis, spricht über die Themen, über die polnische und deutsche Redaktionen heute berichten, und darüber warum er weiterhin gern über deutsch-polnische Fragen und die Koexistenz beider Länder in den Strukturen der Europäischen Union schreibt. Für das Jahr 2013 wünscht Adam Krzemiński den jungen deutschen und polnischen Journalisten, dass sie die Welt so beschreiben, wie sie sie sehen, ohne in ideologische Stereotypen zu verfallen.

Dorota Katner (SdpZ): Widmen polnische Journalisten Themen, die Deutschland betreffen, ausreichend Aufmerksamkeit? Befassen sie sich, wenn sie über Deutschland schreiben, mit wirklichen Problemen, oder wählen sie eher stereotype Themen, die sich „gut verkaufen“?

Adam Krzemiński: Die Palette deutscher Themen ist nicht allzu breit. Die Redaktionen konzentrieren sich eher auf angesagte Themen, über die massenhaft berichtet wird: Im Moment sind es im Zusammenhang mit der Euro-Krise „das deutsche Europa“, der Neonazismus und die Chancen Angela Merkels und einzelner Parteien bei den bevorstehenden Bundestageswahlen im Jahr 2013. Darüber hinaus gibt es natürlich Spekulationen darüber, inwieweit uns Berlin in Fragen des EU-Budgets unterstützen wird. Immer gut auch kommen die Dauerbrenner, früher war das Erika Steinbach, neuerdings ist das die angebliche Asymmetrie zwischen den Rechten der deutschen Minderheit in Polen und denen der polnischen Community in Deutschland. Themen, die für die deutsche Gesellschaft relevant, werden jedoch in den polnischen Medien selten besprochen, weil sie bei uns nicht „in“ sind. So kommen zum Beispiel Themen, die etwas mit Technik, Wissenschaft, dem Bildungssystem oder mit zivilgesellschaftlichen und kulturellen Problemen zu tun haben, fast gar nicht durch. Wirtschaftliche Fragen, die Rolle mittelständischer Unternehmen und die Probleme großer Konzerne werden recht stichprobenartig analysiert. Konfliktarme Themen, die sich nicht aufdrängen, und die nicht in irgendeiner Form mit Polen zu tun haben, gelten als langweilig oder exotisch. Ohne Krawall keine Story. Schade eigentlich, weil die Polen auch den Alltag ihres Nachbarn jenseits der Oder und Neiße kennen sollten, ebenso übrigens wie die Deutschen den ihres polnischen Nachbarn kennen sollten.

DK: Aber es hat sich in den vergangenen Jahren in den polnischen Medien viel verändert. Immer seltener werden deutsche Politiker auf Titelseiten als Nazis dargestellt.

AK: Nun gut, Erika Steinbach wird nicht mehr in SS-Uniform dargestellt, aber wir hatten Angela Merkel mit Bismarcks Pickelhaube, was in der polnischen politischen Ikonographie mit dem Stereotyp der Bedrohung assoziiert wird. Rechte Politiker greifen bewusst zu solchen Bildern, und wollen damit sagen, dass das heutige Polen ein deutsch-russisches Kondominium ist, oder sie vergleichen Brüssel mit dem Kreml und die Europäische Union mit den drei polnischen Teilungen. Aber das sind zum Glück nur Randerscheinungen. Das Problem liegt woanders. Sowohl in Polen als auch in Deutschland macht sich in letzter Zeit die Überzeugung breit, dass der Nachbar nicht mehr so wichtig ist, und deshalb haben wir keine aussagekräftigen Titelseiten bzw. gar keine zum Thema Deutschland. Ohne Skandal keine Titelseite. Das Thema Zweiter Weltkrieg ist bald erschöpft, der Konflikt um die Erinnerung an die Vertreibungen und Aussiedlungen erloschen. Bei aller Asymmetrie sind wir wirtschaftlich eng miteinander verbunden, aber die Fantasie der Massen kann unser mitteleuropäisches Pendant zur westlichen Gemeinschaft für Kohle und Stahl der Fünfzigerjahre nicht entzünden. Wir sind gemeinsam in der EU, aber im allgemeinen Bewusstsein leben wir nebeneinander her.

DK: Es unterliegt keinem Zweifel, dass die junge Generation der Journalisten Deutschland anders sieht.

AK: Dieser Wandel in der Wahrnehmung ist etwas Natürliches, auch wenn er noch nicht allzu deutlich sichtbar ist. Die Boulevardmedien geben gewisse Denkmuster vor. Sie lassen nicht viel Freiheit, weder bei der Themenwahl noch bei den Stilmitteln. Außerdem ist die Berichterstattung über europäische Länder eine relativ undankbare Aufgabe. Wenig Exotik, dafür viel komplizierte Eigenart, die sowohl lokales Spezialwissen als auch einen ganzheitlichen Blick auf den Kontinent verlangt. Paradoxerweise lassen sich Afrika, Südamerika und sogar Russland leichter beschreiben als Deutschland und Frankreich.

DK: 2013 wird der Deutsch-Polnische Journalistenpreis zum 16. Mal vergeben. Die Jury zeichnet deutsche und polnische Journalisten für solide Beiträge über ihr Nachbarland aus. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt jedoch, dass ein Teil der eingereichten Beiträge noch immer die stereotype deutsch-polnische Problematik betrifft.

AK: Denn Normalität gilt als langweilig. Wer über Normalität schreibt, kann wohl kaum berühmt werden, und wird manchmal nicht einmal gelesen. Ein Beispiel: In Redaktionen deutscher Zeitungen finden Sie Redakteure mit sogenanntem polnischen Migrationshintergrund. Das wirkt sich allerdings kaum aus, denn die verantwortlichen Redakteure sind der Meinung, Polen sei inzwischen normal, also uninteressant geworden. An erster Stelle kommt das eigene Land, dann kommt nicht etwa Russland, sondern China und die USA.

DK: Frustriert Sie das nicht? Sie schreiben seit über 40 Jahren über Deutschland und deutsch-polnische Themen.

AK: Meinen ersten Text habe ich 1967 veröffentlicht. Das war vor genau 45 Jahren.

DK: Wird Ihnen das nicht langweilig?

AK: Nein. Denn diese Jahre schaffen eine ganz eigene Tiefenschärfe. Die Sensationen sind weniger sensationell, und die Langeweile der Normalität ist weniger langweilig, was aus journalistischer Sicht auch zu einem Problem werden kann. All die Jahre hindurch habe ich auf der Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten Rückhalt in der Literatur und im kulturellen Leben beider Länder gefunden. Ich habe für deutsche Tageszeitungen, Wochen- und Monatsmagazine mehrere hundert Texte über deutsch-polnische Themen, polnische Geschichte und das polnische Bewusstsein geschrieben. In der polnischen Presse hingegen habe ich doppelt so viele Texte über Deutschland und Deutschlands Probleme mit sich selbst veröffentlicht. Gleichzeitig habe ich die inzestuöse Nähe zu deutsch-polnischen Themen immer zu vermeiden versuch. Ich bin zwar ausgebildeter Germanist, aber die Ausrichtung auf die Kultur und die Geschichte Deutschlands zwingt einen dazu, sich auch mit Frankreich, Großbritannien, Italien, Amerika, China usw. zu beschäftigen, denn es gibt kein Deutschland ohne Beziehungen zu anderen Ländern. Von Russland spreche ich gar nicht, weil es ein wichtiger Teil unserer eigenen Geschichte ist. Betrachtet man Europa durch das Prisma von Deutschland, aber auch Frankreich und Großbritannien, bekommt man eine neue Perspektive. Ebenso versuche ich übrigens den Deutschen den „polnischen Aspekt“ ihrer eigenen Geschichte bewusst zu machen. Sowohl wir und als auch sie leiden unter dem Defizit europäischer Solidarität, die durch nationalen Provinzialismus entsteht, der heute aus meiner Sicht kaum eine Berechtigung hat. Polen ist trotz der Asymmetrie im Verhältnis zu Deutschland ein Land, das in der EU zählt. Die junge Generation kann ohne die alten Komplexe in die Welt ziehen. Diese Welt, vor allem die europäische Welt ist bereits Teil der Identität junger Menschen geworden, die – ob mit Erasmus oder ohne – durch die Welt reisen, Sprachen lernen – im Gegensatz zu denjenigen, die als Beweis für ihren Patriotismus die Tatsache anbringen, dass sie keine Fremdsprachen sprechen und nie in Deutschland waren. Ich hoffe, dass die junge Journalistengeneration schon bald ihre eigene Sicht auf die Welt und den deutschen Nachbarn beschreibt.

DK: Was wünschen Sie dieser jungen Journalistengeneration?

AK: Dass sie diese Welt mit offenen Augen sine ira et studio betrachtet. Dass sie die Welt so beschreibt, wie sie sie sieht, ohne in ideologische Stereotypen zu verfallen.

DK: Vielen Dank für das Gespräch.