Jerzy Baczyński: Rede während der Eröffnungszeremonie der 4. Deutsch-Polnischen Medientage in der Grünberger Philharmonie am 30. Mai 2011
Guten Abend, ich begrüße die sehr verehrten Gäste, meine Kolleginnen und Kollegen Journalisten, sehr geehrte Damen und Herren.
Während ich dem Konzert unseres Trios gelauscht habe, habe ich mir überlegt, dass es toll ist, auf der Bühne einer Philharmonie aufzutreten, mir passiert das zum ersten Mal. Und der zweite Gedanke war, dass wenn ich Fagott spielen lernen würde, ich vielleicht eine entspanntere Arbeit hätte als ich jetzt habe. Ich beneide die Herren also ein bisschen … Ich weiß, dass ich das, was ich gesagt habe, erläutern muss. Ich habe im Übrigen mit dem Komplex zu kämpfen, dass ich nicht gut genug Deutsch spreche, erst vor Kurzem konnte ich mir vergeben, als Präsident Obama während seines Besuches in Polen gesagt hat, dass Polen der regionale Anführer ist. Ich weiß nicht, ob diese „Region“ auch Deutschland umfasst, das hat Obama nicht präzisiert, aber auf jeden Fall ist die polnische Sprache, meine Damen und Herren, der deutschen zumindest gleichgestellt. Ich werde mich jedoch bemühen, langsam zu sprechen, was nicht bedeutet – bitte keine Schadenfreude – dass ich so langsam denke, aber ich möchte den Dolmetschern Zeit geben.
Ich möchte über die Zukunft der Medien sprechen. Man sagt, dass Prognosen schwierig sind, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Im Grunde ist es pures Abenteuertum und Prophetenspielerei, wenn man darüber spricht, was in den Medien in 20 oder 30 Jahren sein wird. Ich lese im Übrigen wie alle Journalisten mit Vergnügen fiktive Visionen über die zukünftige Medienwelt. Beispielsweise hatte ich kürzlich mit einer Geschichte zu tun, die die Medien mehr oder weniger in der Zeit darstellt, die die Agenda der heutigen Konferenz betrifft, also etwa das Jahr 2030 und die folgenden. Diese Vision sah mehr oder weniger so aus: Die traditionellen Medien existieren praktisch nicht mehr, oder liegen in Nischen in den letzen Atemzügen; andererseits haben wir diese kosmische Matrix, eine Informationswolke, an die wir angeschlossen sind mithilfe verschiedenster Terminals. Zwischen uns, also den Terminals, und dieser Wolke gibt es lauter Mittler und Selektoren für Inhalte und auf diese Weise sind wir fast ununterbrochen verbunden mit den großen, weltweiten Informationsbeständen. In dem gleichen Artikel hat sogar jemand die Überlegung angestellt, dass vielleicht der nächste Schritt die Integration besagter Informations-Matrix mit der Physiologie des Menschen sein könnte – das bedeutet das wir solche Brillen aufsetzen werden wie in Computerspielen, und das Wissen wird uns fast direkt ins Gehirn fließen.
Ehrlich gesagt, wenn ich mir das vorstelle, läuft mir ein leichter Schauder über den Rücken, aber so wie jede Vision ist auch das eher eine Art Spielerei. Wenn man hingegen versucht zu prognostizieren, was tatsächlich innerhalb der nächsten Jahre passieren kann, dann gehe ich davon aus, dass es mehr von dem geben wird, was wir bereits haben, das heißt, dass wir heute eigentlich schon die Hauptwurzeln der Zukunft sehen. Natürlich kann immer etwas Überraschendes passieren, aber das ist per definitionem unvorhersehbar. Die zivilisatorischen Veränderungen, deren Zeugen wir sind und die uns oft stressen, konzentrieren sich in hohem Maße auf die Sphäre der Kommunikation. Es ist bereits so weit gekommen, dass im Grunde die sogenannten Massenmedien aufgehört haben zu existieren. Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch – und ich bin noch mit dem Journalismus des 20. Jahrhunderts groß geworden – haben die Medien – wie schon ihr Name sagt – die Rolle des Vermittlers gespielt: es gab einen Sender, einen Empfänger und dazwischen Medien, sprich Journalisten und Redakteure, die die Ereignisse selektierten, ordneten, kommentierten und sie von oben nach unten oder linear an die Empfänger übertrugen. Die professionellen Medien waren für das Publikum die Hauptinformationsquelle und für Journalisten und Redaktionen erfüllten sie im Grunde die Rolle eines Lehreramtes, indem sie die Sprache eines anderen Bereiches benutzten. Sie sprachen ex cathedra. Jeder Konsument der Medien weiß, dass das bereits Vergangenheit ist.
Wir haben in den Medien im letzten Jahrzehnt eine riesige Revolution durchgemacht, sie hängt natürlich mit der Verbreitung des Internets zusammen, aber bevor diese Revolution kam, haben wir erst eine andere durchgemacht, eine die kaum wahrgenommen und unterschätzt wurde, dabei hat sie das gesamte Medienfeld durchpflügt. Es sind nämlich thematische Fernsehkanäle entstanden, darunter 24-h-Nachrichtensender. Ich bin der Meinung, dass dies eines der wichtigsten und folgenschwersten Ereignisse ist. Zwar sind die thematischen Kanäle Teil der traditionellen Medien, des Fernsehens, aber sie haben die neue Medienwelt eingeläutet, mit der wir gleich konfrontiert werden sollten. Erstens sind das Medien nach Bedarf. Früher wurde das Fernsehen – alle aus meiner Generation erinnern sich daran – von Redakteuren gemacht: Es waren die Redakteure, die festlegten, welchen Platz in den so genannten Rahmenprogrammen Nachrichten, Unterhaltung, Kultur und Sport usw. einnehmen. Mit dem Augenblick da thematische Kanäle entstanden, konnten wir selbst entscheiden, welches Menü wir wählen, was wir wissen wollen, in welche Wirklichkeit wir hineingehen wollen. Somit wurden die Proportionen der Informationsübertragungen, die einst von Journalisten und Redakteuren geformt wurden, aufgebrochen. Mehr noch, diese Medien, besonders die, die rund um die Uhr senden (von denen es in Polen – das ist wahrscheinlich in Europa Rekord – mindestens 5 gibt), haben die Situation, die aus den traditionellen Medien bekannt war, wo es immer an Platz (in der Zeitung) fehlte oder an Sendezeit (beim traditionellen Fernsehen oder im Radio) komplett umgekehrt. Zum ersten Mal gab es Medien, die Zeit und Raum im Überfluss hatten. Vor allem im Verhältnis zu wertvollen und interessanten Ereignissen.
Wenn Sie – und ich denke, Sie tun dies – unsere Nachrichtenprogramme sehen (die Kollegen aus Deutschland die ihrigen), können Sie von morgens an den Stress der Redakteure sehen, die diese sich dahinschleppenden Stunden füllen müssen. Besonders in einem Land wie Polen, wo internationale Themen kein spezielles Interesse wecken, oder auch als nebensächlich behandelt werden, ist und war es eine absolut fundamentale Frage: Womit sollen die Zuschauer, die diese Sender gucken, gefüttert werden? In diesem Zusammenhang begann nicht nur der Prozess der Handelns mit News, sondern auch des Aufbauschens, Aufdrehens, des Kreierens von News. Mehr noch, sehr schnell stellten die Redakteure fest, dass Zulieferer von – nicht unbedingt inhaltsreichem – Bildschirmfutter, entsprechend aufgestachelte Politiker sind. Es genügt, sie zu provozieren und sie werden diese sich hinziehenden Sendeminuten füllen.
Zusammen mit diesem Konzept ist die „politische reality show“ entstanden, die sich beinahe 24 Stunden am Tag hinzieht, oder auch öffentliche Spektakel, von denen die früheren Informations- und Kommentarblöcke ersetzt wurden. Heute blüht dieses Geschäft, was leider dazu führt, dass die sogenannten Nachrichtensender immer weniger informativ werden, und immer mehr zur Welt der Spektakel und Unterhaltung gehören, mit eigenen Prominenten, hochgeschaukelten Emotionen, Gegenangriffen, negativen und positiven Protagonisten, nach einem Format, das an Big Brother erinnert. Ergebnis dessen ist auch, dass neue Informationsmedien das Feld zertrampeln, auf dem bisher Journalisten anderer Medien ihre Parzellen bestellt hatten. Es ist Tatsache, dass mit den 24-Stunden Nachrichtensendern Herdenreaktionen begonnen haben. Das heißt, dass wir Journalisten uns in Gruppen bewegen so wie Schwärme oder wie wiederkäuende Tierherden. Wir versuchen, etwas zum Durchnagen zu finden, aber normalerweise gibt es auf diesem Feld, wo die elektronischen Medien unterwegs sind, meist nichts mehr, der Boden ist plattgestampft: die Menschen sind verschreckt, panisch, alles wurde schon herausgezerrt, herausgedreht, erzählt, wiederholt, kommentiert. Diese elektronischen Medien haben auf unglaubliche Weise den traditionellen Medienbereich und die traditionelle Aufgabenteilung in den Medien zerstört.
Hinzu kam die fundamentale, zivilisatorische Internetrevolution. Das ist eine Explosion; sie hat die mediale Ordnung verändert wie ein Supernova-Ausbruch. Hier eine Anekdote: Als wir zu Beginn dieses Jahrzehnts unseren neuen Redaktionssitz der Politika aufbauten, planten wir noch, dass wir in dem ganzen großen Gebäude einen gesonderten Internetsaal haben werden, in dem sich vier Computer mit Internetzugang befinden. Die Rezeption sollte den Schlüssel verwalten und wenn jemand das Internet braucht, dann unterschreibt der in einem Buch, bekommt den Schlüssel und kann es nutzen … Das war zu Beginn dieses Jahrzehnts, vor kaum 7 bis 8 Jahren. Das, was wir seitdem durchgemacht haben, ist wirklich eine der größten technischen und kulturellen Veränderungen, die unsere Generation erleben durfte. Die Folgen dieser Veränderungen sind weitreichend und sichtbar, egal wo man hinsieht.
Erstens haben wir eine unglaubliche Beschleunigung des Umlaufs von Informationen und Kommentaren. Die ganze Welt ist zu einer online-Welt geworden, der traditionelle Rhythmus der Medien wurde unterbrochen. Einst war eine Tageszeitung eine Tageszeitung, einmal täglich hatte man mit den Tagesnachrichten zu tun, dann holte man sich für das Wochenende ein Wochenmagazin, man sah abends fern, manchmal hörte man im Auto Radio. Das Modell des Medienkonsums hat sich komplett verändert: auch die traditionellen Medien mussten sich anpassen an diese Grundphilosophie der Online-Medien, die so genannte „anytime, anyplace, anyway”-Philosophie. Der Zugang zu Informationen muss einfach sein und jederzeit möglich.
Zweitens haben wir es plötzlich mit einer unsortierten Menge an Informationsquellen zu tun. Früher hatten wir – wie ich gezeigt habe – beinahe das Monopol, eine Art lineare Informationsübertragung vom Sender an den Empfänger. Jetzt haben wir Internetseiten, Blogs, Twitter, Facebook, die verschiedensten sozialen Netzwerke, eine riesige Kakofonie an Informationsquellen unterschiedlicher Qualität. Mehr noch, diese Teilung zwischen Sendern und Empfängern hat sich in dem Maße verwischt, als der Empfänger ebenfalls Sender geworden sind. Ein aus dem Englischen entlehntes Wort beschreibt dies: „Prosument“ – Konsumenten, die zu Produzenten werden, auch zu Produzenten von Inhalten.
Das spielt sich oft in Form von „Remix“ ab – auch ein neues Wort, das Internet erschafft sich seine eigene Sprache – ein Remix aus fremden Inhalten, die zum Beispiel aus traditionellen Medien und dem Internet entnommen sind, und eigenen. Das war vor wenigen Jahren auch nicht vorstellbar.
Drittens haben sich die Grenzen zwischen den Vermittlungsformen verschoben, einst waren sie klar: Fernsehen, Radio, die gedruckte Presse, die bunte Presse, Video und so weiter. Jetzt ist es so, dass beinahe jede mediale Produktion gleichzeitig eine multimediale ist. Es besteht die Möglichkeit, seinen individuellen „Mediamix“ herzustellen, sprich, dass mithilfe dieser technischen Mittel jeder, wenn er ausreichende Kompetenzen und Interesse hat, seine eigene Zeitung zusammenbasteln kann, online betrieben mit ihn interessierenden Nachrichten. Mehr noch, die Auswahl seiner eigenen Seiten oder seine eigene Zeitung findet oftmals automatisch statt, mittels Internetunternehmen wie Google, Yahoo!Pipes. Es gibt immer mehr solcher Unternehmen. Das hat den Anstieg der Konkurrenz auf dem medialen Mark bewirkt. Heute findet hier ein Krieg statt, alle Medien konkurrieren mit allen. Die Unterteilung in mediale Segmente ist vorbei, wir führen einen zerstörerischen Krieg, dessen Ziel immer das gleiche ist, nämlich die Zeit und die Aufmerksamkeit des Empfängers. Wir alle konkurrieren darum.
Was hat das für Konsequenzen, wenn wir das mal kurz und einfach sagen wollen?
Wenn wir um Zeit und Aufmerksamkeit kämpfen – und das ist für uns, für die noch traditionellen Medien, aber auch für die neuen, die hinzukommen und mit den traditionellen konkurrieren, eine Frage des Überlebens – führt das zum Anwachsen der Emotionalität der Botschaft. Journalisten und Medien haben festgestellt, dass sich Emotionen gut verkaufen und die Aufmerksamkeit wesentlich stärker binden als eine kühle und rationale Übermittlung. Diese Entdeckung haben wir teilweise den Boulevardblättern zu verdanken, die die Presselandschaft ebenfalls fundamental verändert haben, auch die polnische Presselandschaft. Wir waren ein Jahrzehnt lang frei von solchen extremen Boulevardblättern, aber dank unserer Nachbarn und Freunde aus Deutschland hat sich eine polnische BILD-Version eingenistet und das hat ebenfalls zu einer ernsten Störung der Tradition auf dem polnischen Pressemarkt geführt. Diesen Prozess nennen wir Tabloidisierung, aber das ist eine andere Geschichte. Die Medien beginnen, generell miteinander zu wetteifern im Einfangen von Stimmungen, im Anheizen von Emotionen.
Wenn wir um Aufmerksamkeit kämpfen, müssen wir auch ein attraktives Produkt anbieten. Attraktivität ist für die Journalisten und Inhaber von Medien wichtiger geworden als Sinn und Bedeutung eines Themas. Das ist eines der grundlegenden, und in manchen Medien das grundlegende, Kriterium bei der Bewertung eines Themas. Natürlich hat dies zur Folge, dass die Botschaft vereinfacht oder auch radikalisiert wird. Auf diesem Basar, wo jeder jeden zu überschreien versucht, setzt sich in Wirklichkeit die Stimme dessen durch, der am aggressivsten ist, der extreme Ansichten äußert. Jemand, der mit normaler Stimme spricht, oder Gott behüte mit leiser Stimme, sollte eigentlich schon darüber nachdenken, seinen Stand einzupacken.
Eine weitere Konsequenz ist, dass die Nachrichten nicht mehr selektiert, nicht mehr verifiziert werden, dass ein gewisses Informationschaos entsteht, das inzwischen jeder von uns wahrnimmt. Und die Globalisierung in dem Sinne, dass globale Themen zu lokalen Themen werden. Die Medien ernähren sich eigentlich überall, in jeder Region der Welt, von derselben Kost. Es genügt, eine beliebige Zeitung in einem beliebigen Land aufzuschlagen, um über den Hurrikan in Missouri oder über den Fall Dominique Strauss-Kahn zu lesen. Wir bearbeiten die gleichen globalen Themen und lassen dabei oft unsere eigene kleine Welt aus, in der die traditionellen Medien entstanden sind. Und der Mega-Pluralismus der Quellen führt dazu, dass selbst Leute, die sehr viel lesen, Radio hören, fern sehen, in eine Situation kommen, dass sie sich in dem riesigen Wald an Meinungen eine Meinung aussuchen können, sich aber keine Meinung bilden können. Das ist ein prinzipieller Unterschied im Vergleich zu dem, an das ich noch gewöhnt war.
Letztlich sind die traditionellen Geschäftsmodelle zerbrochen, das ist außerordentlich gefährlich, nicht nur für traditionelle Medien, sondern auch für die neuen. Denn wie wir alle wissen, ist diese neue Welt eine Welt for free. Hier herrscht die „für lau“-Kultur. Die traditionellen Medien versuchen, sich ein wenig dagegen zu stellen, aber das gelingt ihnen nur schlecht.
Als Konsequenz haben wir auch eine Krise im traditionellen Journalismus. Immer seltener spricht man von Journalisten, sondern von Mediaworkers, von Menschen, die gemietet werden, um die Sendeminuten auszufüllen und um Inhalt zu produzieren. Und dabei ist es nicht einmal mehr wichtig, nach welchen ethischen Codes sie sich richten, wie sie sich vorbereiten, wichtig ist nur, dass es schnell ist, weil wir konkurrieren, dass es heftig ist, weil wir gehört werden müssen, dass es kurz ist, weil wir festgestellt haben, dass unser Empfänger sich nicht länger als 30 Sekunden auf eine Nachricht konzentrieren kann. Angeblich gibt es dazu Untersuchungen (und ich rede hier schon 20 Minuten, deshalb verlieren wir bestimmt gleich den Kontakt zueinander).
Natürlich haben die neuen Medien und die neuen Phänomene auch sehr viele positive Aspekte, darüber wird bestimmt im nächsten Plenum gesprochen werden. Es ist eine große Demokratisierung in Bezug auf den Zugang zu den Medien eingetreten. Ich aber konzentriere mich hauptsächlich auf das, was mich beunruhigt und vielleicht weil ich jetzt hier auf der Bühne der Philharmonie stehe, zieht es mich eher in Richtung Requiem als in Richtung Ode an die Freude …
Wenn ich also von den Konsequenzen der neuen medialen Ordnung spreche, meine ich, dass wir es mir einem offenkundigen Rückgang der publizistischen Mission zu tun haben und zwar nicht nur im öffentlichen Fernsehen, das per definitionem diese Mission pflegen sollte, sondern vor allem in allen anderen Medien. Ich kann mich noch daran erinnern – und Sie sicherlich auch – dass zum Beispiel die Medien, auch eine Zeitschrift wie meine, eine ihrer Missionen in der Arbeit an der Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen sah, in der Annäherung von Polen und Deutschen, in der Annäherung von Polen und Russen. Wer setzt sich heute solche Ziele? Gut, es wird über deutsche Themen geschrieben, aber es gibt ganz deutlich nicht das Bedürfnis oder die Energie für Veränderungen der Wirklichkeit, weil wir gestresst sind, weil wir gezwungen sind zu ununterbrochener Konkurrenz und zum Kampf auf Leben und Tod, zum Kampf ums Überleben.
Etwas, was wir die Bürgerdebatte nennen, wird schwächer, denn wenn man die sogenannten Debatten in den elektronischen Medien hört, sieht man, dass dort das Grundprinzip darin besteht, dass es nicht zu einer Verständigung kommt, dass die Menschen mit einem Konflikt kommen, dieser Konflikt geschürt wird und dass sie noch verstrittener gehen als sie gekommen sind. Das Prinzip, dass jeder bei seiner Meinung bleibt, ist eines der Fundamente dieser neuen medialen Wirklichkeit.
Letztlich verschwindet der gemeinsame kulturelle Code, das ist die Folge der Individualisierung der Medien. Immer weniger Menschen schauen die gleichen Programme, hören die gleichen Sender und Sendungen, lesen die gleichen Bücher oder die gleichen Zeitungen. Unsere mediale Wirklichkeit ist in Nischen zerfallen, und das ist natürlich gut, denn das ist der Mega-Pluralismus, von dem ich sprach. Aber auf der anderen Seite haben wir unheimliche Schwierigkeiten zwischen diesen Nischen irgendeine Form der Kommunikation herzustellen. Als Folge haben auf diesem Markt die Empfänger weitaus mehr Bedeutung als die Sender, es beginnt eine deutliche Dominanz des unvorbereiteten Empfängers. Weil wir Medien ihm sagen: „Du bist unser Herr und Herrscher. Wir passen uns an dich an. Du hast große Kompetenzen, um dir dein eigenes Bild von der Welt zu machen, deine eigenen Medien. Eigentlich brauchst du uns gar nicht, wir wollen dir nur Vergnügen bereiten.“
Mit einem Wort, es passiert etwas (wenn man diese altertümliche Metapher benutzen möchte), als würden wir die öffentliche Debatte von der Agora oder vom Forum ins Colosseum verlegen, das kann das Ende der Republik und den Beginn eines Kaiserreiches ankündigen. Diese ganze Situation, die ich hier beschreibe – das Kaputtgehen der medialen Botschaft, die Atomisierung, die Segmentierung, die Emotionalisierung und so weiter – begünstigt das Heranwachsen jeglicher Formen von Populismus unheimlich.
Aber gut, ich habe jetzt ein bisschen herumgejammert, aber nun, da ich mich dem Ende nähere, stelle ich die Frage: Ist die Situation hoffnungslos? (Bitte verstehen Sie es richtig, dass ich hauptsächlich aus Sicht der polnischen aber auch aus eigenen Erfahrungen spreche, bestimmt betrachten die Kollegen aus anderen Medien das anders, aber ich sehe es so.)
Erstens haben die traditionellen Medien zum Glück nach dem ersten Schock begonnen, sich auf verschiedene Weise aktiv an diese neue Wirklichkeit anzupassen. Eine dieser Technologien ist diese relativ harte Selbstverteidigung, dass wir zum Beispiel die Respektierung von Autorenrechten verlangen, weil wir der Meinung sind, dass die neuen Medien für gewöhnlich uns einfach den Inhalt stehlen. Aber wir assimilieren auch die neuen Technologien: es gibt heute keine mediale Organisation, die nicht gleichzeitig multimedial ist. Dies betrifft auch mein Medium, das sowohl auf I-Pads als auch auf Amazon erhältlich ist und auf allen möglichen Internetträgern. Mit einem Wort: die Medien definieren ihre Rolle neu, verstehen sich immer mehr als Fabriken für Inhaltsproduktionen, akzeptieren die Vielzahl von Vertriebskanälen und finden sich damit ab, dass dies in Zukunft so sein wird.
Dies bedeutet gleichzeitig, dass wir akzeptieren, dass es in dieser neuen medialen Welt eine Koexistenz verschiedener Medien geben wird. Dass es zwar bestimmt noch eine Nische für Medien auf Papier geben wird, für traditionelle Wochenmagazine und für traditionelle Wochenmagazine als I-Pad-Ausgaben und für verschiedene Versionen von digitalen Zeitungen, sprich: es kommt die Ära dieser Koexistenz und Konvergenz. Es tritt auch eine Spezialisierung ein, das heißt dass es tatsächlich keine Massenmedien mehr gibt, es gibt immer weniger Massenmedien. Selbst das Fernsehen ist kein Massenmedium mehr. Wenn Sie zu Hause auch Kinder haben – viele von Ihnen haben bestimmt welche – sehen Sie auch, dass die junge Generation beinahe gar nicht mehr fern schaut. Das Fernsehen, die Tradition des Fernsehens, ist genauso gefährdet wie die Tageszeitungen. Das bedeutet, dass jeder heute seine eigene Nische sucht, in der er auf diesem Markt überleben kann. Es entwickeln sich neue Geschäftsmodelle. Wir beginnen endlich, Gebühren für die Bereitstellung zu nehmen, für den Verkauf unserer Produkte, oder auch in der neuen Variante „pay per action”, sprich dass der Abnehmer pro Klick zahlt, für den Zugang oder die Nutzung eines Angebotes. Wir verkaufen auch andere Produkte, nicht unbedingt Informationen, und es gibt bereits Zeitungen, die beispielsweise Wein-Kollektionen verkaufen, Kühlschränke, ja sogar Rasenmäher. Das ist vielleicht ein bisschen weit gegriffen, aber das kommt vor. Wir beginnen also, uns an diese neue Wirklichkeit anzupassen. Aber es wird nicht mehr so sein, wie es war, das ist offensichtlich. Wir haben unumkehrbar die Funktion des Lehramtes verloren. Die Medien sind heute und werden es in Zukunft – auf Polnisch klingt das nicht schön, ich weiß nicht, wie es auf Deutsch klingt – Dienstleistungseinrichtungen für die Bevölkerung sein. Es wäre gut, wenn diese Dienstleistungen von Profis ausgeführt würden.
Es wird also so etwas in der Art kommen – zumindest sehe ich das so – wie Agora oder Forum, elektronisch und im Internet und ringsherum vereinzelte Marktstände verschiedenster Medien, in den mannigfaltigsten Formaten: thematische Fernsehsender, Printmedien, elektronische Presse, Sonderausgaben, Rundfunksender verschiedener Reichweiten und so weiter. Aber am wichtigsten ist wohl – und jetzt kommt meine Konklusion – dass das Schicksal der Medien auf dem Markt vor allem von der Qualität und den Erwartungen des Konsumenten abhängen wird. So wie auf jedem Markt, wie in jedem Bereich, in dem Dienstleistungen angeboten werden.
Die Qualität der Konsumenten aber hängt nicht nur davon ab, wie die Medien sind, obwohl die Medien den Konsumenten natürlich verderben oder verbessern können, sondern sie hängt vom Zuhause, der Schule ab, davon, ob die Schule beispielsweise in der Lage ist, die Menschen auf ein bewusstes Umgehen mit den Medien vorzubereiten. Ich bin der Meinung, dass dies eine der wichtigsten Aufgaben und Pflichten ist, die eigentlich ignoriert werden.
Ich finde, dass wir in einer faszinierenden Zeit leben. Was sich daraus entwickeln wird, kann man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussehen, aber ich glaube daran, dass es noch immer eine Zukunft für den Qualitätsjournalismus, für den professionellen Journalismus gibt, der den Menschen helfen wird, sich die Welt zu ordnen und besser zu verstehen. Ich bin der Meinung, aber das kann mein persönliches Glaubensbekenntnis sein, dass das Bedürfnis, die Welt und unsere eigene Position darin, unsere eigene Situation zu verstehen – dass dieses Bedürfnis nicht verschwindet. Solange dieses Bedürfnis existiert, werden auch die Medien überleben.
Vielen Dank.