Noch 2019 wurde der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj in deutschen und polnischen Medien ab und zu als „Komiker“, „Kabarettist“ oder „russische Marionette auf Drogen“ bezeichnet. Dank seiner Haltung gegenüber der russischen Aggression gegen die Ukraine wird er nun als „David, der gegen Goliath kämpft“ gefeiert.

Diese Veränderung in der Art und Weise, wie der ukrainische Präsident in der öffentlichen Debatte dargestellt wird, besprach Bastian Sendhardt vom Institut für Polnische Angelegenheiten. Sein Vortrag eröffnete den Workshop „Bilder – Worte – Medien – Krieg. Medienberichterstattung über Nachbarländer“. Sendhardt betonte, dass der Wandel in der Wahrnehmung von Selenskyj diametral sei und in relativ kurzer Zeit stattgefunden habe. Die Diskussionsteilnehmer: Dr. Olena Babakova – Journalistin und Migrationsforscherin von der Vistula-Universität für Finanzen und Business, Dr. Agnieszka Łada-Konefał – stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts und Uwe Rada – Redakteur und Schriftsteller, stimmten Sendhardt während der Diskussion zu. Sie bemerkten sogar, dass die Medien nach dem 24. Februar 2022 begonnen haben, Selenskyj zu idealisieren. Ihrer Meinung nach wurden solche Tendenzen in der polnischen Presse jedoch schneller sichtbar als in der deutschen, die, wie sie betonten, weniger geneigt ist, etablierte Muster und Wahrnehmungen zu verschiedenen Themen zu ändern.

Woher kommt diese Idealisierung? Laut Dr. Olena Babakova suchte die westliche Öffentlichkeit nach einer ausdrucksstarken, charismatischen Führungspersönlichkeit nach dem Vorbild des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der von der ganzen Welt bewundert wurde. Selenskyjs Reden ähneln eher einer Live-Übertragung auf Instagram als seriösen Fernsehauftritten, was zeigt, dass sich die Politik an die Zeiten, in denen wir leben, anpasst. Außerdem spricht der ukrainische Präsident immer in einem warmen Ton, weshalb er die Sympathie vieler Menschen gewinnt.

Die Welt durch Muster kennenlernen

Nicht nur Wolodymyr Selenskyj wird von den Medien in verschiedene Interpretationsrahmen gestellt. Bestimmte Rolle werden auch ganzen Ländern, darunter Deutschland, Polen und der Ukraine, aufgeworfen. Dies wurde von den Workshop-Teilnehmern betont, die besonders auf einen dieser Rahmen hinwiesen, der auf einer Mentorenbeziehung basiert. „Etwas, das für die deutsch-polnischen Beziehungen typisch ist, ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis“, erklärte Dr. Agnieszka Łada-Konefał. Die Forscherin stellte fest, dass die Deutschen viele Jahre lang die Handlungen Polens wie ein strenger Lehrer, der den Schüler aus seiner Unwissenheit herausführen soll, bewertet haben, der Schüler aber mit der Zeit begann, die Kompetenzen des Lehrers in Frage zu stellen.

Dieses Muster findet sich auch in den Beziehungen beider Länder zur Ukraine, die sie wie eine jüngere Schwester behandeln. Ihr Ansatz ist jedoch etwas anders. Polen unterstützt und ermutigt die Ukraine, während Deutschland sie mit Überlegenheit behandelt und ihr ihre Fehler vorhält. Die Diskussionsteilnehmer betonten, dass dieser paternalistische Ansatz gegenüber den postsowjetischen Nationen derzeit eines der wichtigsten Themen in den akademischen Diskursen ist.

Die von den Medien verwendeten Interpretationsrahmen verändern sich – und es ist auch gut so, denn mit ihnen verändern sich auch die Bilder der einzelnen Staaten in den nationalen Medien. Und so ist zum Beispiel bei einigen Themen, wie der Energiepolitik, Deutschland zum Schüler geworden, der auf Polen schaut, so Redakteur Uwe Rada. Und was kann diese Veränderungen beschleunigen? Zum Beispiel Personen, die in der öffentlichen Meinung über Ereignisse in dem gegebenen Land berichtet. Wie Dr. Olena Babakova betonte, ist es äußerst wichtig, dass diese Personen vor Ort sind und über eine umfassende Kenntnis der Politik, Wirtschaft und Geschichte des betreffenden Landes verfügen. Nur dann wird das Bild der Länder nicht verzerrt.

Zuzanna Świerczek, Karolina Kwiatek