Fot. Hans Scherhaufer
Existiert die Teilung in Ost und West noch immer?
Vor dreißig Jahren waren Ost- und Westberlin noch durch die Mauer getrennt, die Symbol war für das geteilte Europa. Thomas Kralinski, Bevollmächtigter des Landes Brandenburg beim Bund und für Medien und Internationale Beziehungen, erinnert sich an die Zeit, da er als Student fasziniert den Fall der Mauer und den Umbruch in Europa beobachtete.
„Das, was da passierte, war für uns wahnsinnig aufregend“, gestand er.
Die Teilnehmer fragten sich, ob der Fall der Mauer automatisch zum Verschwinden der Unterschiede zwischen Ost und West geführt hat.
„Schaut man sich Berichte bezüglich des Zusammenhalts und ökonomische Indikatoren an, sieht man noch immer genau die Teilung. Dies folgt aus unserer Geschichte, vor der wir nicht weglaufen können“, sagte Maciej Zathey, Leiter des Instituts für Territoriale Entwicklung.
Oliver Schenk, Europaminister und Chef der Staatskanzlei des Freistaates Sachsen bewertete die Frage der Unterschiede sehr optimistisch: „Die Deutschen verstehen die östliche Perspektive besser als Spanien oder die skandinavischen Länder. Wir können eine Brücke zwischen Ost und West sein und dadurch Europa stärken“, sagte er.
Europäisch oder regional?
„Wie kommen wir zurecht mit der Vielfalt in den Regionen Europas und wandeln wir sie in Kraft um?“, fragte Oliver Schenk, der den Impuls für das Gespräch über die regionale Dimension der deutsch-polnischen Zusammenarbeit gab.
Die Gesprächspartner fragten sich, ob die Angebote, die Infrastruktur auszubauen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter zu stärken und ein ökonomisches Potenzial der europäischen Regionen aufzubauen ausreichen für gute Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Thomas Kralinski sprach davon, dass es möglich sei, diese Beziehungen über die wissenschaftliche Zusammenarbeit zu entwickeln: „Vielleicht ist es eine Lösung, überregionale Hochschulen zu gründen?“, fragte er.
Maciej Zathey schlug vor, davon abzugehen, das Verständnis von regionaler Entwicklung auf Metropolen zu beschränken, und sich stattdessen lieber auf kleinere Städte und gemeinsame Probleme im Grenzbereich zu konzentrieren.
Auch Schenk forderte, dass die Regionen an der europäischen Debatte teilnehmen müssen: „Die Bürger müssen die Chance haben, an der Entwicklung teilzuhaben“, appellierte er.
Natürlich wurde auch die Frage gestellt, was die bei den Europawahlen abgegebenen Stimmen über die Europäer und ihre Vision für die EU aussagen.
Barbara Włodarczyk, Journalistin des Polnischen Fernsehens TVP und eine der Moderatorinnen des Gespräches, sprach von einem großen Interesse der Bürger an den Wahlen.
„Das zukünftige Parlament wird ein stärkeres Mandat haben. Die Wahlbeteiligung zeigt, dass die Europäer daran interessiert sind, die EU mitzugestalten“, so Włodarczyk.
Maciej Zathey wies hingegen auf die Tatsache hin, dass das Wahlergebnis nicht nur über den Wandel der politischen Kräfteverhältnisse im Europaparlament entscheiden, sondern auch einen Generationswechsel und eine Verschiebung der Wertvorstellungen in den Gesellschaften der EU zeigen.
„Einerseits werden Parteien stärker, die bei der europäischen Integration Rückschritte machen, andererseits haben wir in Deutschland ein sehr gutes Ergebnis der Grünen, das von einer deutlichen Beunruhigung über den Klimawandel zeugt.“
Thomas Kralinski erklärte das Ergebnis der Europawahlen mit der Spaltung der Gesellschaften und der fehlenden Unterstützung für die Bürger seitens der Regierung.
„Wir leben in einer beschleunigten Phase gesellschaftlicher Veränderungen, man muss dafür Sorge tragen, dass den Menschen Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden. Das ist die Aufgabe der Politik“, betonte er.
Wie wird Europa in 15 Jahren aussehen?
„Ich denke, dass das Beispiel Großbritanniens abschreckend wirkt und andere Staaten dies nicht nachmachen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Europa attraktiv und konkurrenzfähig wird. Es liegt uns auch am Kohleausstieg, den man als ein grenzübergreifendes Projekt betrachten muss“, sagte Oliver Schenk und mobilisierte damit gleichzeitig dazu, mit starken Staaten wie China und den USA in Konkurrenz zu treten.
Maciej Zathey und Thomas Kralinski äußerten sich ebenfalls verhalten zum Brexit. In ihren Redebeiträgen benannten sie ebenso die Bedeutung des Klimawandels und dessen Einfluss auf die EU-Politik sowie die Notwendigkeit, sich auf die Entwicklung europäischer Peripherien zu konzentrieren.
Die Ergebnisse der Diskussion sind nicht eindeutig pessimistisch. Die Notwendigkeit, die Debatte zu vertiefen, europäische und regionale Peripherien genauer anzusehen, und auch die Verbesserung des Zusammenhalts und der Kampf gegen gesellschaftliche Spaltungen sind, so die Diskussionsteilnehmer, ein Mittel zur Stärkung der Europäischen Union und Europas als Kontinent.
Anita Olszyna
Klaudia Wackerman
(aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller)