Die Verschmutzung der Oder und Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umwelt standen im Fokus der Debatte „Warum sollte Europa seine Flüsse lieben?“, die am 15. Juni im Rahmen der 16. Deutsch-Polnischen Medientage in Zielona Góra stattgefunden hat. Darüber, wie wichtig die natürlichen Wasserressourcen sind und welche Maßnahmen zu ihrem Schutz getroffen werden sollten, diskutierten Prof. Dr. Christoph Zöpel aus der Universität Dortmund und zwei Journalistinnen Katarzyna Kojzar und Dagny Lüdemann. Für die ausgewogene Dynamik des Gesprächs sorgte die Moderatorin Martyna Słowik.

Giftalgen und Kommunikationsfehler

Fischsterben und Rekordtiefstände auf den einzelnen Oder-Abschnitten sind nur wenige vieler Ausprägungen der Krise. Für die Situation sind auch Klimawandel und globale Erwärmung verantwortlich. „Zu dem Fischsterben ist es doch auch gekommen, weil wir letztes Jahr den heißesten Sommer aller Zeiten erlebt haben“, unterstrich Dagny Lüdemann. Der Höhepunkt war die sog. Umweltkatastrophe in der Oder im Sommer 2022. Als mögliche Ursache dafür nannten die polnischen Staatsbehörden das Vorhandensein von „Goldalgen“ im Wasser.

Während der Diskussion präsentierte Lüdemann eine Sicht auf Algen aus der Perspektive einer Biologin, d. h. Algen als natürliche Organismen. „Erwähnenswert ist, dass Algen keine Feinde sind“, erklärte die Forscherin. „Als das Thema Fischsterben in der Oder begann, das Interesse zu erregen, kam es zu einem Kommunikationsfehler. Die Algen wurden als Ursache für das Problem festgestellt. Wenn man den Begriff „Algen“ hört, denkt man eher an den Algensalat, an etwas Natürliches. Das Vorhandensein dieser Organismen in der Oder ist jedoch nicht natürlich, es ist das Ergebnis menschlicher Aktivitäten.“ Die Journalistin äußerte sich negativ zur Verwendung von Chemikalien zur Wasserreinigung, denn Pestizide verschärfen die Umweltverschmutzung. „Chemische Algenbekämpfung ist sicherlich nicht der beste Weg“, appellierte Lüdemann.

 

Gleichgewicht ist das Wichtigste

Die Gesprächsteilnehmer kommentierten unter anderem Reaktionen der polnischen und deutschen Medien auf die Nachricht über die Vergiftung der Oder. Katarzyna Kojzar wies darauf hin, dass „diese Katastrophe ein Glück im Unglück in Polen war. Es wäre uns natürlich lieber gewesen, wenn sie sich überhaupt nicht ereignet hätte. Doch dank der Verschmutzung der Oder sind die Fragen des Schutzes der Flussuferlandschaft endlich in die überregionalen Medien gelangt und haben Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden und der breiten Öffentlichkeit auf sich gezogen“.

Die Diskussion darüber, ob Flüsse reguliert werden sollten oder ob man sie lieber möglichst unversehrt und beispielsweise frei über die Ufer treten lassen sollte, fand in ganz Europa breiten Widerhall. Das ist ein wichtiges Thema, das das Leben nicht nur der lokalen Gemeinschaften, sondern auch der gesamten Gesellschaft beeinflusst.

In Polen herrscht die Strategie der Industrialisierung vor, darunter der Wunsch nach Regulierung von Wasserstraßen für Transportzwecke. „Es ist das Infrastrukturministerium, das in Polen für die Wasserqualität zuständig ist, und nicht das Umweltministerium. Das ist an sich schon symptomatisch“, merkte Kojzar an. Nun arbeitet man im Sejm (die untere Kammer des polnischen Parlaments) am Entwurf eines Gesetzes über die Revitalisierung der Oder. Die neuen Vorschriften greifen in das natürliche Ökosystem des Flusses stark ein und werden deswegen in der öffentlichen Debatte kritisiert.

Die Politik eines übermäßigen Eingriffs von Menschen und der Industrialisierung stellt eine Gefahr für die Ökosysteme der Oder dar. Christoph Zöpel meinte: „Die Welt denkt nach wie vor, dass die Entwicklung und der Fortschritt nur dank der Industrialisierung und des Kohleabbaus möglich sind. Doch heutzutage ist das nicht mehr der Fall.“

Lüdemann bemerkte, dass Zeiten gekommen seien, in denen Unternehmer mit Umweltschützern einer Meinung sind. „Es ist nun billiger, die Infrastruktur auf nachhaltige Art und Weise zu bauen“, meinte die Forscherin, denn es sei zu teuer, das Gleichgewicht des Ökosystems anschließend wiederherstellen zu müssen. Kojzar stimmte ihr zu und erklärte, dass die Katastrophe in der Oder sich daraus ergeben hätte, dass man „sich eher auf die Infrastruktur statt auf das Ökosystem konzentrierte“.

 

Hoffnungsschimmer

Als letztes Thema in der Debatte wurde die Bedeutung von Graswurzelbewegungen wie auch die Tätigkeit der Bewohner der Gebiete an der Oder für den Fluss aufgegriffen. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass das Umweltdrama eine Katastrophe für die Anwohner sei. Kojzar führte das Thema fort: „Seit Ausbruch der Krise haben sich die Menschen in der Region stark verändert.“ Die Journalistin zählte Initiativen auf, die von den Einheimischen ergriffen wurden: Plakate, Aufkleber, Demonstrationen, darunter ein Marsch den Fluss entlang von seiner Quelle bis zur Mündung. „Manchmal marschierte eine Person, manchmal ein halbes Dorf, und manchmal eine ganze Klasse aus der nahe liegenden Oberschule mit“, erzählte Kojzar. „Dies hat der Oder gezeigt, dass sie nicht alleine ist“. Während des Marsches forderte man die Anerkennung der Oder als juristische Person, was ihren Schutz erleichtern würde.

Die Oder ist nicht allein. Nach den Appellen des WWF Polen (World Wide Fund for Nature) wurde ein Abschnitt des Flusses renaturiert. Solche Maßnahmen wären auf der ganzen Länge des Flusses nicht möglich gewesen, doch auf dem wiederhergestellten Abschnitt von Kłodnica (dt. Klodnitz) wurden erhebliche positive Änderungen beobachtet. Man ließ den Fluss über die Ufer treten, was zum natürlichen Schutz vor Hochwasser für das ganze Dorf und die benachbarten Gebiete wurde. Beobachtet wurde die Rückkehr seltener Pflanzen- und Tierarten. Der Ort wurde zu einem beliebten Erholungsort, das Wanderer und Kajakfahrer gleichermaßen anzieht.

Kojzar unterstrich, dass Bottom-up-Initiativen und Umweltbildung ausschlaggebend seien. „Dies ist für mich die größte Hoffnung. Wir werden den Fluss natürlich nicht alleine retten können, doch das was sich im Bewusstsein der Anwohner tut, ist nicht zu unterschätzen.“ Als Beispiel nannte die Journalistin die schwarzen Schleifen-Aufkleber, die sie auf einem der Stege an der Oder gesehen hat. Sie stehen für die Trauer um das Ökosystem, sind aber zugleich auch ein Zeichen für das steigende Bewusstsein und die Mobilisierung von Menschen. Auch wenn das Symbol auf dem Aufkleber pessimistisch erscheint, erblickt man in den Werten, die dahinter stehen, einen Hoffnungsschimmer.

 

Von Agnieszka Sokołowska und Estera Sikorska