Während des Workshops „25 Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems“ konzentrierten sich die Teilnehmer der Deutsch-Polnischen Medientage auf das Thema Lustration, das in beiden Ländern weiterhin starke Emotionen und viele Zweifel hervorruft. „Dieses Problem gehört nicht der Vergangenheit an“, so die Diskussionsteilnehmer.

Łukasz Kamiński, Vorsitzender des Instituts für Nationales Erbe (IPN) wies gemeinsam mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem polnischen und deutschen Lustrationssystem hin. Kamiński und Jahn wurden von dem freien Journalisten Jarosław Jakimczyk und von Uwe Mueller (Die Welt) in journalistischer Hinsicht unterstützt. Der Workshop wurde von Rosalia Romaniec geleitet, sie ist ebenfalls freie Journalistin und darüber hinaus Gewinnerin des diesjährigen Deutsch-Polnischen Journalistenpreises Tadeusz Mazowiecki in der Kategorie Fernsehen.

„In Polen war nach 1989 die Aufarbeitung des vergangenen Systems nicht das vordergründigste Thema. Es schien wichtigere Probleme zu geben, wie beispielsweise die wirtschaftliche Entwicklung und die Integration in die Europäische Union“, erklärte Kamiński die Verspätung Polens in diesem Bereich im Vergleich mit der ehemaligen DDR. „Die Gesellschaft übte auch keinen starken Druck aus und verlangte nicht, dass geheime Materialien über Mitarbeiter des Geheimdienstes der Volksrepublik Polen zugänglich gemacht werden sollten.“ Dennoch gilt das polnische Lustrationssystem – das wurde viele Male betont – unter vielen Gesichtspunkten als vorbildhaft für andere Staaten.
„In unserem Land werden zwei Dinge abgewogen: Das Recht auf Information und Wahrheit und der Schutz der Privatsphäre von Personen, die die Lustration betrifft“, sagte der Chef des IPN. „Ersteres überwiegt, deshalb haben Wissenschaftler und Journalisten einen besseren Zugang zu den Archiven als bei unserem westlichen Nachbarn.“
„Für das deutsche Lustrationssystem ist derzeit die wichtigste Aufgabe, den Zugang zu den Informationen so zu optimieren, dass Journalisten, Wissenschaftler und Bürger nicht auf die Hilfe von Beamten angewiesen sind, sondern ihre Recherchen zu Hause am eigenen Computer durchführen können“, sagte Jahn. Er betonte, dass dabei das Recht auf den Schutz der Privatsphäre eines jeden Menschen respektiert werden müsse, unabhängig von dessen Vergangenheit. Er hob noch einen weiteren bedeutsamen Aspekt hervor, der in der Lustrationsdebatte oft beiseite geschoben wird: „Die Akten waren Arbeitswerkzeug des Nachrichtendienstes, man kann also nicht davon ausgehen, dass alles, was sie enthalten, der Wahrheit entspricht.“
„In Polen kann ein Teil der Dokumente geschützt werden, wenn ihre Veröffentlichung die Sicherheit des Staates gefährden würde“, so Łukasz Kamiński.
Ähnlich ist es in Deutschland. Das Auswärtige Amt kann Akten geheim halten, wenn ihre Bekanntmachung dem Staat schaden könnte.

Während der Diskussion haben die Redner die Journalisten dazu ermuntert, die Durchführung von Recherchen und die Veröffentlichung der Ergebnisse aus diesen Recherchen zu beantragen.
Roland Jahn sagte, es sei notwendig, zum Wohl des gesellschaftlichen Lebens der heutigen Jugend weiterhin Lustration zu betreiben. Als ich dies hörte, fragte ich mich, ob für meine Altersgenossen die Aufarbeitung des ehemaligen politischen Systems von Bedeutung ist. Es gibt bestimmt Menschen, die Organisationen angehören, auch mit politischem Charakter, und die eine eindeutige Meinung hinsichtlich der Lustration haben und an dem Thema interessiert sind. Aber es gibt auch solche, denen warmes Wasser aus der Wand, ein neuer i-Pod und die Gewissheit, dass sie in diesem Jahr in den Urlaub ins Ausland fahren werden, genügen. Sie vertreten das Prinzip: „Die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen.“ Die Frage ist, ob die Vergangenheit sie nicht in irgendeiner Form einholen wird?


Martyna Słowik