Sehr geehrte Herren Marschälle,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Ich freue mich, dass die deutsch-polnischen Medientage diesmal in Dresden zu Gast sind. Bei uns kann man sagen: Herzlich willkommen im Herzen Europas: Genau dort liegt seit der Osterweiterung der EU Sachsen mit Nordböhmen und Niederschlesien.
Das Ziel ist, unsere Position als Schrittmacher und Laboratorium Europas weiter auszubauen. Und das aus guter Tradition: Denn hier bei uns im Dreiländereck haben wir eine große Vergangenheit, auf die wir aufbauen können.
Anfang des letzten Jahrhunderts waren Böhmen, Niederschlesien und Sachsen eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen Europas. Dank der europäischen Einigung können wir an diese Zeit anknüpfen. Gerade die deutsch-polnische Partnerschaft ist dafür ein entscheidendes Element.
Unser nachbarschaftliches Verhältnis wird in allen Teilbereichen der Gesellschaft gelebt - manchmal mit großem Erfolg, manchmal mit kleinerem: in der Wirtschaft, in der Politik, bei Vereinen, in der Wissenschaft oder im Sport.
Und natürlich als ein großer Mosaik-Stein des gesamten Bildes: bei den Medien. Damit Deutsche und Polen noch enger zusammenkommen, braucht es einen gemeinsamen Kommunikationsraum. Nur so entsteht gemeinsames Bewusstsein.
Die Medien vermitteln, sie erzählen Geschichten über die Anderen, finden Themen, die beide Seiten interessieren, rufen gemeinsame Historie wach, sie formen ein Image, können Vorurteile schüren, aber helfen auch, sie ausräumen. Medien fördern Verständigung: Durch Journalisten erfahren wir etwas über Menschen und Meinungen in unserem Nachbarland. Deshalb ist es wichtig, dass der Journalistenpreis vorbildhafte Arbeiten der deutsch-polnischen Verständigung auszeichnet.
Meine Damen und Herren, warum sind Polen und Deutschland so wichtig für ganz Europa? Beide Länder haben längst eine Rolle übernommen, wie sie früher Frankreich und Deutschland innehatten. Polen und Deutschland sind heute ein wichtiger Stützpfeiler der immer tiefer gehenden europäischen Integration. Bei der Einigung Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg waren Deutschland und Frankreich die entscheidenden Motoren. Mit Blick auf Osteuropa nach der Friedlichen Revolution müssen dieses Tandem Polen und Deutschland bilden.
Hoffentlich in Zukunft noch engagierter als dies bislang ohnehin geschehen ist.
Frankreich und Deutschland bieten für uns heute kein Muster, kein direktes Vorbild.
Denn wir müssen leider feststellen: Die europäische Idee hat es im Moment schwerer als damals. Durch die Krise des Euro zweifeln viele an der EU - mit einer Intensität, wie man es in den vergangenen 20 Jahren selten gesehen hat. Dabei blicken wir auf eine 60-jährige Erfolgsgeschichte zurück. Wer weiß, wie sich das deutsch-polnische Verhältnis ohne Europa entwickelt hätte? Wie sich die osteuropäischen Staaten insgesamt integriert hätten?
Auch Spanien, Portugal und Griechenland waren vor gut 40 Jahren noch Diktaturen: Ob es in Südeuropa auch ohne die EU stabile Demokratien gäbe? Ich bezweifle das.
Als es jahrzehntelang gut lief, hat sich niemand über Erfolge gewundert oder gar gefreut. Die Errungenschaft der europäischen Einigung haben wir zu selbstverständlich, ja schulterzuckend hingenommen.
Jetzt gibt es ein Stottern im europäischen Motor - aber die Debatten sind umso lebhafter, stärker und negativer. Das ist undankbar: Wir dürfen nicht nur über die Krise des Euro klagen, sondern sollten auch die Fortschritte würdigen, die uns in den letzten Jahrzehnten begleitet haben.
Partnerschaft, Einheit und Zusammenwachsen sind eben keine Selbstläufer. Von Rückschlägen darf man sich nicht verunsichern lassen, sondern muss das Ziel umso fester ins Auge fassen. Auch wenn wir in der EU momentan Schwierigkeiten haben:
Es gibt viel mehr, das uns eint als uns trennt. Polen wird im kommenden Jahr zum ersten Mal den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehaben. Und ich bin sicher: Polen wird die Aufgaben aktiv angehen, mit neuer Kreativität sowie Mut zu anderen Ideen und Lösungen. Und das wird auch mit unserer Unterstützung geschehen.
Meine Damen und Herren, es geht nicht allein um ein geeintes Europa, das von manchen als zu abstrakte Idee angesehen wird. Es geht zusätzlich um bilaterale Beziehungen - um konkrete Länderpartnerschaften, die Europa mit Leben füllen.
Und auch hier haben und werden Deutschland, Sachsen und Polen eine große Rolle spielen. Nahezu gleichzeitig haben Deutschland und Polen vor 20 Jahren die volle staatliche Souveränität wiedererlangt. Beide Völker, die Deutschen und die Polen, sind die großen Gewinner der friedlichen Revolution von 1989.
Deutsche wie Polen werden immer wieder mahnen, dass sich die dunkle Geschichte zwischen 1933 und 1945 nicht wiederholen darf. Wir Deutsche haben im Zweiten Weltkrieg Schuld auf uns geladen. Polen wurde aufgeteilt zwischen Deutschland und der Sowjetunion, Hitler und Stalin schlossen einen Pakt zu Lasten Polens.
Wegen dieser gemeinsamen Vergangenheit spielen die Beziehungen zu Polen eine besondere Rolle für uns. Ich war vor wenigen Monaten in Kreisau, um an die Versöhnungsmesse zu erinnern, die dort vor 20 Jahren gefeiert wurde.
Und es hat mich gefreut, in Kreisau zu Gast zu sein - nicht nur wegen des eigentlichen Anlasses, sondern auch weil Sachsen seit genau zehn Jahren eine intensive regionale Partnerschaft zu Niederschlesien unterhält.
Regionale Kontakte wie diese sind das Salz in der Suppe einer Länderpartnerschaft.
Zum zehnjährigen Jubiläum dieser Kooperation haben wir eine beeindruckende Ausstellung auf die Beine gestellt, die zeigt, auf wie viele Bereiche sich diese Partnerschaft mittlerweile bezieht: Verkehr, Wirtschaft, Tourismus, Umwelt, Bildung, Wissenschaft und Kultur.
Bei den Exporten Sachsens liegt Polen mittlerweile auf Platz zwei, bei den Importen auf Platz drei. Wir wollen unsere Grenzregionen noch besser verzahnen, die Wirtschaftsstandorte verknüpfen und die Mobilität von Arbeitnehmern steigern.
Es gibt zum Beispiel wieder eine durchgängige Eisenbahnverbindung zwischen Dresden und Breslau sowie Flüge zwischen Dresden und Zielona Góra.
Die wirtschaftliche Kooperation ist keine Einbahnstraße. Auch die Investitionen polnischer Firmen in Sachsen steigen.
Unternehmen oder Hochschulen beider Seiten können noch mehr gemeinsam forschen und entwickeln.
Auch politisch arbeiten wir eng zusammen. Regelmäßig treffen wir uns mit den Marschällen und Woiwoden der Grenzregionen. Viele Politiker beider Seiten tauschen sich regelmäßig aus. Die Klausursitzung meiner Landtagsfraktion findet zum Beispiel in diesem Jahr in Breslau statt - dort werden wir auch mit polnischen Partnern ins Gespräch kommen.
Auch wenn dies in Polen aufgrund des Zentralismus nicht so einfach ist wie im föderalen Deutschland: Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten riesige Fortschritte gemacht. Die kurzen Entscheidungswege bei der Hochwasser-Bekämpfung an der Oder haben das gerade wieder gezeigt.
Auch die Bevölkerung lebt viele Kontakte. Ich bedauere jedoch, dass immer noch deutlich mehr Polen Deutsch sprechen als umgekehrt. Aber auch hier sind wir auf einem guten Weg.
In Sachsen hat sich die Zahl der Schüler, die Polnisch lernen, seit 2002 mehr als verdreifacht. Dennoch braucht es noch mehr Bemühungen in Kindergärten, Schulen und Hochschulen.
Meine Damen und Herren, wie unter guten Freunden üblich, müssen wir auch kritische Themen zwischen Polen und Sachsen ansprechen und lösen. Etwa die Kriminalität, die viele Einwohner in den Grenzregionen beunruhigt. Doch auch hier eint das Gemeinsame: Beide Seiten - Polen und Deutsche - wollen und werden die Kriminalität bekämpfen.
Meine Damen und Herren, wenn Journalismus dies alles beleuchtet: die kritischen Elemente unserer Freundschaft, die Vorurteile, die Ärgernisse, die schwierige Geschichte ebenso wie die Erfolge in den vergangenen 20 Jahren, das Zusammenwachsen in der EU, die zwischenstaatlichen Beziehungen und die regionalen Partnerschaften. Und wenn viele Einzelbeispiele von Mutigem und Vorbildhaftem beleuchtet werden, die es zwischen Polen und Deutschen gibt, dann ist es ein guter deutsch-polnischer Journalismus:
Und den zeichnen wir heute aus.
Denn dieser Journalismus ist ein wichtiges Element, damit wir nicht nur überzeugte Deutsche oder überzeugte Polen bleiben - sondern überzeugte Europäer werden.
Vielen Dank!
(Rede des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich bei den Deutsch-Polnischen Medientagen am 08. Juni 2010.)